Das Geheimnis der Hebamme
Sorgen machte er sich darüber, was inzwischen den Dorfbewohnern zugestoßen sein mochte. Wenn nur Marthe mit ihm nach Meißen gereist wäre! Bei Josefa wäre sie in Sicherheit.
Je näher sie der Siedlung kamen, umso aufmerksamer betrachtete er die Umgebung. Mit einem Mal fühlte er sich beobachtetund gab Lukas ein Zeichen. Im gleichen Moment ertönte ein wohl bekannter Pfiff. Die Männer zügelten die Pferde, ohne nach den Waffen zu greifen. Nur Augenblicke später standen Kuno und Bertram vor ihnen und berichteten, sich gegenseitig ins Wort fallend, was am Vortag im Dorf geschehen war und was ihnen Marthe aufgetragen hatte.
Christian hörte mit immer düsterer werdender Miene zu.
Ohne Zögern fasste er seinen Entschluss. Wenn Randolf so offen gegen alles Recht und Gesetz wütete, musste er sich seiner Sache absolut sicher sein.
»Du wartest hier«, wies er Lukas an. »Wenn ich im Dorf bin, ziehst du einen Bauernkittel über und folgst mir unbemerkt und unerkannt.«
»Aber Herr! Soll ich Euch allein lassen und mich dann wie ein Dieb einschleichen? Das ist ehrlos!«
»Zwischen Ehrlosigkeit und Vorsicht gibt es einen großen Unterschied – wie auch zwischen Mut und Leichtsinn«, wies ihn der Ritter zurecht. »Ich bin vor Gott und deinem Vater für dein Leben verantwortlich. Knappen ziehen nicht in den Kampf. Du wirst beobachten, was geschieht, aber nicht eingreifen. Dann reitest du nach Meißen und berichtest. Geh zu Arnulf. Und nimm Marthe mit.«
Christian ließ seinen Knappen beim heiligen Georg schwören, die Befehle zu befolgen, was der nur widerstrebend tat.
Dann beugte sich der Ritter zu Kuno und Bertram und legte jedem eine Hand auf die Schulter. »Ihr habt viel Mut und Treue bewiesen«, lobte er sie. »Seid ihr bereit, noch zwei letzte Aufträge zu übernehmen?«
Die beiden nickten sofort, aber Lukas zuckte zusammen. Zwei letzte Aufträge?
»Wir brauchen einen Bauernkittel für Lukas und jemanden, der vorerst sein Pferd und mein Packpferd im Wald verbirgt«,erklärte Christian den Jungen. »Ich reite allein ins Dorf. Wenn der Braune auftaucht, werden sie sofort nach Lukas suchen.«
Kuno lief los und kam bald mit einem vielfach geflickten Kleidungsstück zurück. »Ist ein Bergmannskittel – noch besser, der hat eine Kapuze. So erkennt niemand sein Gesicht«, pries Kuno sein Beutestück.
Christian holte das sorgfältig in Leder gehüllte Kettenhemd und den Rest seiner Ausrüstung vom Packpferd und verstaute alles in einem dichten Gebüsch. Dann verteilte er sämtlichen Proviant, den er mit sich führte. Er würde ihn nicht mehr brauchen. Begeistert machten sich Kuno und Bertram darüber her, voller Zuversicht, dass mit der Rückkehr Christians wieder Gerechtigkeit im Dorf einziehen würde.
Lukas aber betrachtete aufmerksam das umschattete Gesicht seines Ritters und machte sich seine eigenen Gedanken.
Nachdem die Jungen losgezogen waren, um die Pferde zu einer nahe gelegenen, aber schwer zu findenden kleinen Schlucht zu führen, trat Christian auf Lukas zu und schloss ihn in die Arme. »Gott und der heilige Georg mögen dich schützen«, sagte der Ritter mit warmer Stimme. »Du warst ein guter Knappe und wirst ein noch besserer Ritter sein. Falls mir etwas zustößt, bitte Raimund, dich in seine Dienste zu nehmen.«
Tausend Gedanken wirbelten durch Lukas’ Kopf, aber er war unfähig, auch nur einen davon in Worten auszudrücken. Fassungslos starrte er seinem Herrn ins Gesicht und fand darin die Bestätigung. Christian rechnete nicht damit, den Tag zu überleben.
Sollte er wirklich seinen Ritter im Stich lassen? Aber er hatte es geschworen!
»Gott steh Euch bei«, krächzte er schließlich und drehte sich brüsk zur Seite, um seine Gesichtszüge zu verbergen.
Marthe war nicht die Einzige, die den Herrenhof aufmerksam im Auge behalten hatte. Kaum ließ Hartwig sich draußen blicken, ging der Bergmeister entschlossen auf ihn zu.
»Was wollt Ihr?«, knurrte der Verwalter.
»Ich möchte Euch in aller Bescheidenheit bitten, die zwei Bergschmiede freizulassen«, sagte Hermann, ohne übermäßig bescheiden zu klingen. »Was sie auch getan haben sollten, sie sind hart bestraft worden. Wenn die Schmiede noch länger leer steht, hat keiner der Bergleute Werkzeug für seine Arbeit. Der Markgraf wird nicht zufrieden mit Euch sein, wenn deshalb die Erzförderung stockt.«
Hartwig zeigte sich wenig beeindruckt.
»Ich bin kein leichtgläubiges Weib, das Ihr beschwatzen könnt, Bergmeister«, sagte er
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