Das Geheimnis der Hebamme
wiedergeholt.«
»In dieser Nacht muss etwas Schreckliches mit ihm geschehen sein, ich weiß es«, brachte Marthe hervor, die immer noch zitterte.»Ich sah ihn im Traum – reglos am Boden liegend und voller Blut.«
Lukas nickte gequält. »Randolfs Rache. Wir müssen uns beeilen.«
Er zog sie hoch und führte sie nach draußen. Jetzt erst wurde Marthe bewusst, dass Lukas nicht nur die Bergmannskleider wieder gegen seine eigenen eingetauscht, sondern auch Christians Schwert umgeschnallt hatte.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Marthe, während Lukas die Hände verschränkte, um ihr auf sein Pferd zu helfen.
»Nach Meißen reiten«, entgegnete der knapp, saß hinter ihr auf und gab dem Braunen die Sporen.
Beide schwiegen, in düstere Gedanken versunken.
Marthe war so müde und erschöpft, dass sie bald gegen seine Brust sank. Das würde sie in wachem Zustand nie und nimmer tun, dachte Lukas, scheu wie sie ist.
Noch nie war er ihr so nah gewesen. Während er die Weichheit ihres Körpers genoss, drapierte er vorsichtig seinen Umhang so, dass er sie gegen die Kälte des Morgens schützte. Als tüchtiger Schüler Christians war er begabt genug im Umgang mit Pferden, dass er seinen Braunen lenken und sie trotzdem behutsam mit den Armen halten konnte. Sie konnte nicht viel geschlafen haben in den letzten drei Nächten, rechnete er zurück. Erst die heimliche Hilfe für Jonas und Karl, dann die Pflege der beiden Todkranken und jetzt die halb durchwachte Nacht in der Höhle voller Angst und Sorge um Christian.
Ein kräftiger Donnerschlag und fast gleichzeitig einsetzender, prasselnder Regen brachten Marthe jäh zu sich. Erschrocken rückte sie von Lukas ab und setzte sich gerade hin.
Im nächsten Wald brachte Lukas sein Pferd zum Stehen. Sie mussten eine Rast einlegen; weniger für sich selbst als für den Braunen, der zwei Menschen zu tragen hatte, auch wenn Marthe nicht viel wog.
Nachdem er den Hengst getränkt und ihm den Hafersack umgebunden hatte, suchte er für sich und Marthe einen halbwegs trockenen Platz unter den Bäumen. Nicht, dass es etwas geholfen hätte, denn ihre Kleider waren bereits völlig durchnässt. Und Feuer wollte er nicht machen. Der Qualm würde weithin sichtbar sein und etwaige Verfolger auf ihre Spur bringen. Außerdem mussten sie sich beeilen.
Er rief sich zur Ordnung, als er bemerkte, dass seine Augen immer wieder zu den Rundungen ihres Körpers wanderten, die sich unter dem triefend nassen Kleid abzeichneten.
So erzählte er, was er erfahren hatte, als er sich nach seiner Rückkehr heimlich in das Haus des Schmieds geschlichen hatte.
»Jonas und Karl sind inzwischen außer Lebensgefahr«, begann er und riss sie aus ihrer Betäubung. »Aber Bertram hatte seinem Vater Hildebrand vor aller Augen Feigheit vorgeworfen und ist dafür von ihm furchtbar verprügelt worden.«
»Wisst Ihr, ob Johanna und Marie in Sicherheit sind?«, wollte Marthe wissen.
»Bergmeister Hermann hat sie bei sich aufgenommen.«
»Hermann«, rief Marthe erschrocken. »Aber dann wird Gertrud sie auch der Hexerei anklagen!«
»Nein, beruhige dich«, meinte Lukas. »Im Haus des Bergmeisters gab es großen Ärger. Hermann war so zornig darüber, dass seine Tochter dich als Hexe verleumdet hat, dass er sie gezwungen hat, in Sack und Asche die Nacht kniend vor dem Haus zu verbringen. Er spricht kein Wort mehr mit ihr. Und Kaspar hat noch am gleichen Abend Besuch bekommen – von ein paar Bergzimmerern und Karl.«
Erneut stand Entsetzen in Marthes Gesicht. »Karl? Der kann doch noch gar nicht aufstehen.«
»Er ist auch mehr gewankt als gelaufen, die halb verheiltenStriemen auf seinem Rücken sind wieder aufgeplatzt und bluten. Doch er sagt, das sei’s ihm wert gewesen. So wütend ist er auf die Ratte, die Christian und Guntram an den Galgen geliefert hat und dich totschlagen lassen wollte. Und nicht nur er. Die Männer sind zu Kaspar ins Haus gegangen und haben ihm eindringlich nahe gelegt, bei Pater Bartholomäus um Kirchenasyl zu bitten.«
»Ich dachte, sie würden ihn verprügeln«, wunderte sich Marthe.
»Haben sie ja auch – zuerst. Aber sein Geständnis wird gebraucht, um Christians Unschuld zu beweisen. Also haben sie ihm vorgerechnet, wenn nicht der Schmied oder die Bergzimmerer ihn eines Nachts erschlagen, würden es Hartwigs Leute tun, denn die können keinen Zeugen gebrauchen.«
»Und? Ist er in die Kirche gegangen?«
»Gegangen ist vielleicht nicht das richtige Wort.« Lukas grinste. »Die Zimmerer
Weitere Kostenlose Bücher