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Das Geheimnis der Hebamme

Titel: Das Geheimnis der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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gab der Ritter zu bedenken.
    Marthe streckte ihm ihren fast leeren Korb entgegen. »Ich habe so gut wie keine Kräuter und Salben mehr. Vielleicht könnt Ihr mit dem Dorfschulzen vereinbaren, dass ich mir zum Lohn für meine Arbeit einiges aus den Vorräten der weisen Frau aussuchen darf?«
    Zögernd gab Christian sein Einverständnis und ging zum Dorfschulzen, um mit ihm den Lohn für die Arbeit seiner jungen Heilerin auszuhandeln.
    Den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht lang kümmerte sich Marthe um die Kranken des Dorfes. Als sie den letzten behandelt hatte – einen dürren Alten, an dessen Bein sie mit heißen Umschlägen einen eitrigen Abszess öffnen musste, doch der davon gar nichts zu merken schien, sondern nur vor sich hin brabbelte –, untersuchte sie im Schein eines Talglichts, was sie von den Vorräten der Toten mitnehmen konnte. Die Salben waren ranzig geworden und nicht mehr zu gebrauchen. In anderen Töpfchen entdeckte sie getrocknete Käfer, Krallen und winzige Knöchelchen, für die sie auch keine Verwendung hatte. Schließlich pflückte sie von den Dachsparren ein paar Bündel getrockneter Pflanzen: Kamille, Thymian, Minze und was sie sonst noch fand.
    Ein lautes Knarzen ließ sie herumfahren. In der Tür stand der Dorfschulze und musterte sie mit einem falschen Lächeln, das ihr Innerstes gefrieren ließ.
    »Wenn du willst, kannst du bei uns bleiben, du darfst sogar in diese Hütte einziehen«, bot er ihr an.
    Doch an der Art, wie er sie musterte, erkannte sie, dass dieser Mann sie zu seiner Hure machen wollte. Und spätestens wenn sie schwanger war, würden die Leute sie zum Dorf hinausprügeln.
    Mit zittrigen Händen griff sie nach den Kräuterbündeln. Aber sein lauernder Blick sagte ihr, dass er sie nicht an sich vorbeigehen lassen würde.
    Zu ihrer Erleichterung knarzte die Tür genau in diesem Augenblick ein zweites Mal, und Lukas betrat den Raum.
    »Mein Herr wünscht, dass du noch einmal nach Drago siehst«, sagte er und gab ihr mit einem Zwinkern zu verstehen, dass dies nur ein Vorwand war. Ohne ein weiteres Wort huschte sie hinaus, dankbar für Christians Schutz.
     
    Gemächlich schlenderte Marthe über eine Blumenwiese. Um sie herum waren nur die Stimmen der Vögel zu hören, aus der Ferne wehte der Wind Stücke von Burcharts melodischem Flötenspiel herüber. Die Sonne schien, das Gras leuchtete in frischem Grün.
    Plötzlich brach ein riesiger Mann mit gezogenem Schwert aus dem Gestrüpp vor ihr. Wulfhart!
    Mit gewaltigem Wutgeheul stürzte der Burgherr auf sie zu. Zu Tode erschrocken wollte sie fliehen, doch sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen.
    Sie wollte um Hilfe schreien, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle.
    Voller Entsetzen fuhr das Mädchen aus dem Schlaf, schweißgebadet, ihr Herz raste.
    Eine Woche nach dem Überfall hatten die Albträume begonnen.
    Zumeist waren es die gleichen Schreckensszenen, die sie in wilder Folge heimsuchten. Wulfhart, der mit erhobenem Schwert über ihr stand und ihr Hände und Füße abschlagen wollte … Die von Flammen umloderte Serafine, die mit vorwurfsvoller Stimme rief: Warum hast du mir nicht geholfen?
    Manchmal mischten sich auch Bilder vom Tod ihrer Elterndazwischen. Sie schienen keine Gesichter zu haben. Marthe konnte sich wirklich nicht mehr erinnern, wie sie aussahen. Aber wieder und wieder sah sie die tödlichen Waffen der Angreifer auf ihre Mutter und ihren Vater niedersausen und das Blut aus den Wunden spritzen.
    Grete rutschte zu Marthe hinüber und legte ihr den Arm um die Schulter.
    »Was quält dich so, Kind?«, fragte die Witwe und lauschte Marthes wirrer, bruchstückhafter Antwort.
    »Es war nicht deine Schuld, sondern Gottes Wille«, sagte die Alte schließlich, deren Stimme warm und sanft war und nichts von der üblichen Spottlust hatte. »Du hast getan, was du konntest, viel mehr, als man erwarten durfte.«
    Die lebenserfahrene Frau zog den Kopf des Mädchens an ihre Schulter. Marthe war, als ob durch diese kleine Geste der Damm brach, der bisher alle ihre Tränen zurückgehalten hatte. Der Kummer um Fines Tod und das schreckliche Ende ihrer Eltern, die Angst vor Wulfharts Drohung und seinen Berittenen, der plötzliche Verlust all dessen, was bisher ihr Leben ausgemacht hatte, brach nun aus ihr heraus. Grete wiegte sie sanft, während sie schluchzte, strich ihr immer wieder über das Haar und murmelte ab und zu leise ein paar tröstende Worte.
    Es dauerte lange, bis der Tränenstrom endlich versiegte. Marthe

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