Das Geheimnis der Hebamme
Reste des Huhns weg und bat Marthe, ihr bei der Arbeit zu helfen. Bald füllte sich der Raum mit vielerlei Düften. Während sie gemeinsam Sude kochten, Mixturen in kleine Krüge füllten, getrocknete Pflanzen zerstießen und Säfte mit Schmalz zu Salbe verrührten, stellten sie fest, dass sie beinahe mit den gleichen Rezepturen arbeiteten.
»Du hattest eine gute Lehrmeisterin«, lobte Josefa.
Marthe erzählte von Fine. Es tat ihr gut, und in Josefa fand sie eine aufmerksame Zuhörerin. Wie sich herausstellte, hatte Marthe der alten Frau sogar auf einem Gebiet etwas voraus: Josefa war nicht so geschickt im Behandeln von Knochenbrüchen, denn bei solchen Fällen gingen die Leute in der Stadt zum Bader. Dafür verriet sie Marthe ein Mittel zur Zahnpflege, eine Mischung aus Wein und der Asche abgeschnittener Weinreben. Josefa hatte im Gegensatz zu den meisten Leuten ihres Alters noch auffallend viele Zähne.
Nach einer Weile hörten sie jemanden draußen nach Josefa rufen.
»Versteck dich im Garten«, sagte die Alte, schob Marthe nach hinten und ließ dann eine Frau ein, die mit schriller Stimme um Hilfe bat, weil sie sich beim Kochen verbrüht hatte. Marthe hörte durch die nur angelehnte Tür, wie Josefa die Frau beruhigte,ihr kühlende Tücher auflegte und sie dann aufforderte, am nächsten Tag wiederzukommen.
»Die Ärmste ist am Herd ein wahrer Pechvogel. Entweder sie verbrennt sich selbst oder das Essen – oder beides«, meinte Josefa, nachdem die Frau gegangen war und sie sich wieder den vor sich hin köchelnden Kräutersuden widmeten. »Dabei ist sie so geschickt am Webstuhl. Die Familie könnte besser leben, wenn ihr Mann sie den ganzen Tag weben lassen und ein Mädchen zum Kochen holen würde. Doch davon will der Dummkopf nichts wissen.«
Josefa beobachtete Marthe eine Weile. Schließlich meinte sie: »Na, frag schon!«
Marthe schaute überrascht hoch.
»Frag ruhig«, wiederholte Josefa. »Das, was dich die ganze Zeit schon beschäftigt!«
Marthe beschloss, das Angebot anzunehmen, denn für diese Frage konnte sie sich wirklich keine Antwort vorstellen.
»Woher kennst du Christian?«
Die Alte grinste breit. »Wirklich sonderbar, nicht wahr? Ein junger, kühner Ritter vom Burgberg und eine alte Hexe aus dem letzten Winkel der Stadt.«
Sie machte eine bedeutungsschwere Pause.
»Ich habe ihn groß gezogen.«
Marthe riss die Augen auf. »Du bist seine Mutter?«
»Nein. Die ist gestorben, als Christian noch klein war. Aber ich kannte sie gut, sie war wie eine Tochter für mich. Sie lebte hier nebenan. Ich habe sie auch entbunden. Was glaubst du, was für ein süßer kleiner Schreihals dein Ritter war.«
»Aber was ist mit seinem Vater? Wie kann ein Kind aus dieser Straße Ritter werden? Oder stimmt es, was die Leute munkeln – dass er ein unehelicher Sohn des alten Markgrafen ist?«
Josefa lachte. »Ich sehe schon, ein einziger Tag auf der Burg hat gereicht, um dich über den Klatsch ins Bild zu setzen. Nein, Christian ist kein Bastard von Otto oder Konrad. Sein Vater war Spielmann.«
»Spielmann?« Nichts hätte Marthe mehr verblüffen können. Spielleute galten als unehrlich geboren. Undenkbar, dass einer von ihnen Ritter wurde.
»Ja, sogar ein sehr guter. Und nebenbei der beste Spion für Markgraf Konrad. Schau nicht so überrascht! Er war beileibe nicht der Einzige in seinem Gewerbe, der das tat. Spielleute kommen herum, sind unverdächtig und können auf den Burgen ein und aus gehen. Christians Vater war oft unterwegs und hat viele geheime Nachrichten ausgekundschaftet und überbracht. Doch er wurde bei einem gefährlichen Auftrag verraten und bei lebendigem Leib aufs Rad geflochten.«
Marthe schauderte. Meistens waren die Büttel so gnädig, den Verurteilten zu erwürgen, bevor sie ihm alle Knochen brachen und die zertrümmerten Gliedmaßen durch die Speichen eines Rades zogen. Christians Vater musste unvorstellbare Qualen erlitten haben, bis ihn endlich der Tod erlöste.
»Hat ihm denn niemand helfen können?«
»Nein. Er hat seinen Herrn nicht preisgegeben. Als Konrad schließlich davon erfuhr, war es schon zu spät. Er wollte wenigstens den Leichnam entführen lassen, um ihn in geweihter Erde zu begraben, aber nicht einmal das war mehr möglich. Sie hatten den Körper verbrannt und die Asche in alle Winde verstreut. Christians Mutter brach es das Herz. Sie starb wenig später. Markgraf Konrad sorgte dafür, dass der Junge auf den Burgberg kam, zum Knappen und dann zum Ritter
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