Das Geheimnis der Hebamme
wieder – aber wenn Ihr pro Fuhre nur einen mitnehmt, wird es dauern, bis die Äcker frei sind«, hatte Guntram damals gespottet.
»Nun, wir ahnten gleich, dass es mit diesem Stein eine besondere Bewandtnis haben könnte, denn ähnliche haben wir bei den Bergwerken nahe Goslar gesehen«, fuhr Friedrich fort. »Also ließen wir ihn von den Bergleuten dort untersuchen. Und die haben nicht schlecht gestaunt.«
Er sah Christian bedeutungsschwer in die Augen.
»Das war kein normaler Stein, sondern Bleierz. Und zwar soreich an Silber, wie es selbst in den Gruben um Goslar noch keines gab. Hier liegen Unmengen davon. Kurz und gut: Euer Dorf steht auf purem Silber.«
Während Hans und Friedrich Marthe aufsuchten, um ihre Schmerzen lindern zu lassen, blieb Christian nachdenklich am Tisch sitzen.
Eines war ihm sofort klar geworden: Die überraschende Eröffnung der Fuhrleute würde das ganze Leben im Dorf auf den Kopf stellen. Auch wenn bisher nur er und die Salzkärrner davon wussten, die Sache war nicht mehr geheim zu halten.
Wie Friedrich erzählt hatte, waren die Probierer aus Goslar, die den Stein untersucht hatten, drauf und dran gewesen, sofort ihr Werkzeug zusammenzupacken und mit ihnen hierher zu ziehen, weil sie hofften, schnell zu Reichtum zu kommen. Die paar Eingeweihten, die im Harzgebirge davon wussten, würden zwar schweigen, um keine Rivalen auf die Spur zu locken, aber einmal ausgesprochen, waren die Dinge schon in Bewegung geraten.
Fremde würden kommen und den Boden durchwühlen. Aber wenn sie Silber fanden, käme das auch den Siedlern zupass, die hier hart wie nie zuvor in ihrem ohnehin schweren Leben arbeiteten und doch nur das Nötigste hatten, um zu überleben. Bergleute brauchten Essen und Bier, Leder und Seile, die Arbeit des Schmiedes und jede Menge Holz und Holzkohle. Sie würden mit klingender Münze dafür bezahlen, wenn sie hier wirklich Silber fanden.
Seiler und Gerber würden folgen und viele andere Handwerker. Aber auch Abenteurer und Diebesgesindel. Mit der Ruhe und Abgeschiedenheit des Dorfes war es dann vorbei.
Doch welche unverhofften Möglichkeiten eröffnete das allen! Er erhob sich, um nach draußen zu gehen, wo die Frauen zuEhren der Gäste ein gemeinsames Abendessen für das ganze Dorf vorbereiteten.
Die Entscheidung, ob in seinem Dorf nach Silber gegraben würde, konnte nur der Markgraf oder der Kaiser treffen. Er musste umgehend Otto von der Entdeckung informieren.
Aus Wiprechts Kate drang ein herzzerreißendes Stöhnen.
»Ist es erlaubt, einzutreten?«, rief Christian in das Dunkel.
»Ich bin gleich fertig, Herr«, rief ihm Marthe zu. »Lasst Euch von diesem Leidenden nicht täuschen. Er jammert zwar ganz erbärmlich, aber eigentlich müsste es ihm schon wieder viel besser gehen.«
Als sich Christians Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, erkannte er, dass sich Friedrich gerade erhob und vorsichtig Schultern und Rücken bewegte.
»Tatsächlich! Diese Kleine hat es wieder mal geschafft«, rief er freudestrahlend.
Marthe reichte ihm ein tönernes Krüglein. »Rotöl mit etwas Wacholder. Reibt es Euch beim nächsten Mal über die schmerzenden Stellen, das wird Euch Linderung verschaffen. Und das hier ist für Euch, wenn das Reißen zu schlimm wird.« Sie drückte Hans ein Töpfchen mit Salbe in die Hand.
Dann stemmte sie die Arme in die Seiten. »Lasst uns nach draußen gehen und schauen, ob das Essen fertig ist.«
Christian sog das Bild in sich auf: Die sonst so in sich gekehrte und oft bedrückte Marthe lächelnd und zufrieden, gute Arbeit geleistet zu haben. Ihm wurde warm ums Herz. Sie war stets wie verwandelt, wenn sie Leute behandelte – entschlossen und ihrer Sache sicher. Doch es war lange her gewesen, dass er sie hatte lächeln sehen.
Während die Fuhrleute schwatzend nach draußen gingen, hielt er Marthe und Wiprecht, der gerade ins Haus trat, zurück.
»Auf ein Wort.«
Erstaunt sahen ihn die beiden an. Sie nebeneinander stehen zu sehen, erfüllte ihn erneut mit Bitterkeit.
»Ich muss morgen nach Meißen reiten. Die Markgräfin wünschte, dass ich bei der nächsten Gelegenheit Marthe mitbringen soll, damit sie nach ihrem jüngeren Sohn sieht.«
Er wandte sich an Wiprecht. »Wie lange wir fortbleiben werden, hängt davon ab, ob der Markgraf auf dem Burgberg oder unterwegs ist. Wenn wir ihm nachreisen müssen, kann es ein paar Wochen dauern, bis ich« – er stockte, denn er brachte es nicht über sich, ›deine Frau‹ zu sagen –
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