Das Geheimnis der Heiligen Stadt
Sternschnuppen zu sagen hat«, entgegnete er. »Aber ich halte seine Theorien für übertrieben kompliziert. Man sieht diese Himmelskörper ausschlieÃlich in den Sommermonaten, aber niemals im Winter, und ich glaube, dass es etwas mit der Hitze zu tun haben muss.«
»Meint Ihr etwa, dass die Erde die Bewegungen am Himmel beeinflussen kann?«, hakte Tankred nach. »Erzbischof Daimbert würde das Ketzerei nennen, Herr Geoffrey. Ãber den Himmel herrscht allein Gott und nicht die Erde.«
Geoffrey seufzte. »Ich sagte nicht, dass die Erde die Sterne nur im Sommer herabfallen lässt«, erklärte er und versuchte, nicht von oben herab zu klingen. »Vielleicht fallen sie das ganze Jahr über, doch die Verhältnisse auf der Erde sind dergestalt, dass wir sie nur im Sommer erblicken können.«
Nachdenklich kaute Tankred auf der Unterlippe. »Das ist eine interessante Vorstellung«, stellte er fest. Plötzlich lächelte er. »Ihr seid einer der wenigen Menschen mit Gelehrsamkeit.« Er hob die Hand, um Geoffreys Einwänden zuvorzukommen. »Oh, auch die Priester sind gebildet und wissen allerhand, doch die denken nicht so, wie Ihr es tut. Und sie sprechen nicht die Sprachen, mit denen Ihr vertraut seid â Französisch, Italienisch, Latein und Griechisch. Denkt bloà nicht daran, jetzt schon zu Euren Schafen zurückzukehren, Geoffrey. Ich brauche Euch hier. Helbye hat mir erzählt, dass Ihr Arabisch lernt?«
Geoffrey runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, dass seine Leute irgendwelche Geschichten über ihn erzählten. »Das Wissen der Sarazenen hält noch viele Geheimnisse für uns bereit, und die arabische Sprache ist der Schlüssel dazu«, erwiderte er vorsichtig. »In vielen Dingen sind sie uns weit voraus: in der Medizin, der Astrologie, der Mathematik, der Architektur â¦Â«
»Ich verstehe Eure Bewunderung«, unterbrach Tankred ihn schroff. »Obwohl ich sie nicht teile. Doch wie Ihr selbst eingesteht, gibt es hier noch vieles, um Eure unstillbare Sehnsucht nach Wissen zu befriedigen, insbesondere dann, wenn Ihr die arabische Sprache meistert. Also bleibt und lernt! Ich werde Euch nicht mehr zu Erkundungsgängen in die Wüste schicken, wenn Euch das glücklich macht. Und während Ihr hier bleibt und lernt, könnt Ihr ein Rätsel für mich lösen.«
»Was für ein Rätsel?«, fragte Geoffrey misstrauisch. Er rechnete damit, dass die Sache einen Haken hatte.
»Den Tod dieser beiden Ritter«, sagte Tankred. »Und den dreier Geistlicher. Ich hatte gedacht, Ihr hättet den Fall vielleicht bereits gelöst, als Ihr heute diese Witwe Mikelos hier angebracht habt. Doch während ich sie noch befragte, wurde ihre Unschuld bewiesen, denn ein fünftes Opfer ist mit einem dieser Krummdolche ermordet worden. Also kann sie nicht die Mörderin sein. Anscheinend ist sie genau das, was sie behauptet hat: eine ehrbare Witwe, deren Haus zufällig für den Mord an John von Sourdeval ausgewählt wurde.«
Tankred hockte auf einer Ecke des Tisches und musterte Geoffrey ernst. »Ich weià sehr wohl, dass ich oft Dinge von Euch verlange, die weit über die Pflichten eines Ritters hinausgehen. Doch diese Vertrautheit war uns beiden zu Zeiten von Nutzen. Und jetzt brauche ich Euch wieder. Diese beiden Ritter â Guido und John â standen in den Diensten meines Onkels Bohemund. Ihre Ermordung ist ein Angriff auf alle Normannen in Jerusalem, und das betrifft auch uns beide, Euch und mich. Ihr habt ein Gespür für Rätsel. Immerhin habt Ihr auch das Geheimnis um diese Diebstähle damals in Nizäa gelöst, als all die Priester und Gelehrten mit ihrer Weisheit am Ende waren. Das zeigt, dass Ihr solchen Angelegenheiten auf den Grund gehen könnt. Ihr könnt taktvoll, raffiniert und, wenn ich diese Feststellung wagen darf, sogar verschlagen sein, um herauszufinden, was Ihr wissen wollt. Ich möchte, dass Ihr mir wieder zu Diensten seid und diese Morde aufklärt.«
Geoffrey fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er konnte Tankred kaum zurückweisen. Auch wenn ihm solche Aufgaben widerstrebten, so stand er doch in Tankreds Diensten, und das würde so bleiben, bis Tankred ihn entlieÃ. Er war ein wenig belustigt darüber, dass dieser ihn um Hilfe bat, anstatt ihm einfach etwas zu befehlen. Auf diese Weise konnte Tankred allerdings dafür sorgen, dass Geoffrey
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