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Das Geheimnis der Heiligen Stadt

Das Geheimnis der Heiligen Stadt

Titel: Das Geheimnis der Heiligen Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beaurfort
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oder zumindest hatte Geoffrey das damals angenommen. Er erinnerte sich lebhaft an Rogers massigen Umriss, wie er sich vor dem dunklen Nachthimmel abzeichnete, während er Wasser vom Brunnen trank.
    War das etwa die Antwort? War Roger der Mörder in der Zitadelle?
    Geoffrey setzte sich wieder und drehte mit zitternden Händen den Stein hin und her, während er nachdachte. Auf dem Rückweg vom Palast des Patriarchen hatten er und Roger sich ausführlich über den Fall unterhalten. Roger fand es sinnlos, lange darüber nachzudenken, weshalb Marius Dunstans Selbstmord als Mord ausgegeben hatte, wo sie doch einfach Marius selbst fragen konnten. Geoffrey erinnerte sich, wie er Roger damals beipflichtete.
    Doch vielleicht hatte Roger gewusst, dass sie keine Antwort mehr erhalten würden, oder er hatte gerade diese Antwort gefürchtet. Als Geoffrey einen Augenblick abgelenkt war und sich um Barlow kümmern musste, hatte sich wie durch ein Gottesgeschenk eine Gelegenheit ergeben: Roger konnte rasch die Treppen zu Geoffreys Zimmer emporhuschen, Hugo niederschlagen und Marius erstechen. Er wäre mit Leichtigkeit wieder draußen gewesen und hätte trinkend am Brunnen stehen können, als Geoffrey aus Barlows Zelt zurückkehrte.
    Oder hatte womöglich Hugo Marius ermordet? Aber diese Vorstellung war lachhaft, denn Geoffrey hatte das Blut an seinem Hinterkopf gesehen. Dort hatte ihn ein Schlag getroffen, und es war schwierig für einen Mann, sich selbst auf den Hinterkopf zu schlagen. Außerdem war Hugo Bohemund seit vielen Jahren in tiefer Treue verbunden: Sie waren Freunde von Kindheit an gewesen, und Hugo würde niemals etwas unternehmen, um Bohemund zu verraten.
    Aber obwohl Roger ebenfalls in Bohemunds Diensten stand, schuldete er niemandem solche Treue: Er war einfach verfügbar gewesen und hatte sich dem ersten Anführer des Kreuzzuges angeschlossen, den er traf. Geoffrey schloss die Augen und dachte an die vielen Gespräche zurück, die er mit Roger geführt und in denen der kräftige Ritter ihm anvertraut hatte, dass er Bohemund nicht mochte und vieles an seinem Vorgehen nicht billigte. Diese Gespräche fanden natürlich niemals in Hugos Gegenwart statt, und Geoffrey hatte Rogers Geständnisse auf zu viel Alkohol geschoben und auf seine Tendenz, alles, was nicht englisch war – einschließlich Bohemunds, des italienischen Normannen –, als zweifelhaft anzusehen. Doch nun hatte es den Anschein, als wäre mehr daran gewesen, als Geoffrey sich hatte vorstellen können.
    Roger hatte also die Gelegenheit gehabt, Marius zu ermorden. Er hatte gewusst, dass Geoffrey den Schreiber befragen wollte und es nur eine Frage der Zeit sein würde, ehe Geoffrey auf seine Fragen Antworten erhielt. Also hatte Roger sich entschieden, Marius zu töten, bevor er etwas verraten konnte.
    Aber das war gefährlich gewesen. Zunächst einmal, wie hätte Roger wissen können, dass Marius nicht bereits alles, was er wusste, Hugo erzählt hatte? Und zweitens, was hätte er getan, wenn Hugo nicht so passend mit dem Rücken zur Tür gesessen hätte? Die Antwort darauf war allerdings schmerzhaft deutlich. Roger hatte Hugo nicht niederschlagen wollen, er hatte versucht, ihn zu töten, damit Marius’ Geheimnisse unenthüllt blieben. Es war dunkel in dem Zimmer gewesen – Geoffrey hatte später gewartet, bis Roger eine Lampe herbeibrachte. Die Kopfwunde war sehr blutig gewesen, und so hatte Roger Hugo wohl für tot gehalten. Er hatte sich gewiss nicht die Zeit genommen, um genauer nachzusehen.
    Mit entsetzlicher Klarheit erinnerte sich Geoffrey, wie Roger ihn überreden wollte, Hilfe zu holen, während er bei Hugo bliebe. Geoffrey hatte sich geweigert, besorgt und voller Schuldgefühle, dass sein Freund verletzt worden war, weil er ihm einen Gefallen tat. Stattdessen war Roger gegangen. Dadurch hatte Geoffrey Hugo vermutlich das Leben gerettet, denn Roger war so nicht in der Lage gewesen, sein Werk zu vollenden. Als Hugo dann aufwachte und ihnen mitteilte, dass Marius viel zu aufgeregt gewesen war, um ihm irgendetwas zu verraten, war Roger dieser Sorge ledig. Er hatte keinen Grund mehr, Hugo zu töten. Was wäre gewesen, wenn es anders gekommen wäre, wenn Hugo behauptet hätte, dass Roger ihn niedergeschlagen und Marius getötet hatte? Geoffrey konnte sich gut vorstellen, wie Roger Hugos Geschichte als Hirngespinste in Folge der

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