Das Geheimnis der Heiligen Stadt
überrascht. »Sie traf mit den Kreuzfahrern hier ein? Ich hätte geglaubt, sie war in der Stadt, als sie eingenommen wurde, und dass sie dabei ihren Mann verlor. Jedenfalls vermittelt sie diesen Eindruck.«
»O nein«, sagte Maria. »Sie traf mit Euch zusammen ein. Sie hatte sich als Italienerin ausgegeben, sodass sie mit den Kreuzfahrern hierher reisen konnte. Aber in Wahrheit ist sie Griechin.«
Geoffrey war immer noch sehr überrascht. »Warum sollte sie in eine Stadt kommen, in der Griechen so schlecht behandelt werden? Was ist mit ihrem Mann geschehen?«
Marias Augen funkelten, und sie beugte sich näher zu ihm, sodass sie ihm verschwörerisch zuflüstern konnte: »Wisst Ihr, ich glaube nicht, dass sie überhaupt eine Witwe ist! Ich glaube, ihr Mann lebt noch irgendwo. Vielleicht hat er sie geschlagen, oder er war ein Verbrecher! Aber ich glaube, sie hat sich dem Kreuzzug angeschlossen, um ihm zu entkommen!«
Das schien eine recht auÃergewöhnliche Art der Flucht zu sein. Aber wenn eine Frau verzweifelt genug war und die Mittel besaÃ, sich anderswo ein neues Leben aufzubauen, war es vermutlich denkbar. Geoffrey fragte sich, was für ein Ehemann die forsche, selbstbewusste Melisende wohl so weit treiben konnte. Er kam zu dem Schluss, dass er diesem Mann nicht begegnen wollte.
»Und sie verabscheut die Normannen«, fuhr Maria offenherzig fort. »Also war er vielleicht ebenfalls ein Normanne. Wie Ihr«, fügte sie noch hinzu, während sie mit ihren groÃen braunen Augen zu ihm aufblickte. »Das würde erklären, weshalb sie Euch nicht ausstehen kann.«
»Ich fürchte, das habe ich ganz alleine zu Wege gebracht â¦Â«
»Nein! Ganz bestimmt habe ich Recht!«, rief Maria aus und klatschte ausgelassen in die Hände. »So ist mir alles erklärlich! Deshalb soll ich ihr auch immer Bescheid geben, wenn ich Euch sehe. Ich sollte darauf achten, wer bei Euch ist und was Ihr macht. Und deshalb hat sie meine Schwester Katrina â sie arbeitet als Küchenmädchen in der Zitadelle â ebenfalls beauftragt, Euch zu beobachten.«
»Hat sie das?«, sagte Geoffrey, und seine Gedanken überschlugen sich. »Ich frage mich, warum?«
Das war ein deutlicher Hinweis darauf, dass Melisende in finstere Machenschaften verwickelt war. War sie Rogers Komplizin? Oder er der ihre? Allmählich bekam Geoffrey ein paar lose Enden zusammen. Die Männer, die ihn nach dem Treffen mit Tankred verfolgt hatten, hatten Griechisch gesprochen â gewiss hatte Melisende sie ausgesandt, um ihn im Auge zu behalten, so wie sie es auch Maria und Katrina befohlen hatte. Also hatte sie tatsächlich etwas zu verbergen. Vielleicht hatte sie ihren grässlichen Ehemann ermordet, und das war der Grund für ihre verzweifelte Flucht. Hatte sie dabei Geschmack am Töten gefunden und hier gleich weitergemacht? Allmählich passte alles zusammen. Oder nicht? Weshalb sollte Roger in ihren Diensten stehen?
Geoffrey lehnte sich zurück und überlegte, während Maria zum Tisch hinüberging und sich an einem Teller mit Nüssen bediente. Melisende hatte vielleicht die Ritter und Mönche ermordet, und Roger hatte Marius umgebracht. Aber warum? Melisende konnte den Mord an Lukas nicht begangen haben, weil sie zu dieser Zeit in Gewahrsam gewesen war. Hatte also Roger den Mönch für sie ermordet, um ihre Unschuld zu beweisen?
Jedoch konnte Geoffrey sich nicht recht vorstellen, wie der grobschlächtige Roger verstohlen ins Heilige Grab schlich und dort auf der Lauer lag, um einen verkrüppelten Laienbruder zu erschlagen. Womöglich hatte er dort jemand anderen ermorden wollen, einen echten Mönch, war dann aber in Panik geraten und hatte den bedauernswerten Lukas versehentlich getötet. Das würde erklären, weshalb der Mord an Lukas nicht so recht ins Muster passte: Er hatte der griechischen Kirche angehört, nicht der römischen.
»Wirst du deiner Herrin Melisende erzählen, dass du mich heute Nacht getroffen hast?«, fragte Geoffrey. Er stand auf und schlenderte wieder zum Fenster hinüber.
»Nun, das würde ich«, verkündete Maria unverblümt, »wenn ich Euch irgendwo anders getroffen hätte. Aber wenn ich es jetzt der Herrin Melisende erzähle, würde sie mich mit Fragen bedrängen und gewiss herausfinden, wo wir uns getroffen haben. Und dann würde ich bestimmt wieder meine Arbeit
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