Das Geheimnis der Heiligen Stadt
Gerechtigkeit zu entziehen. Er blickte die Gasse entlang und fragte sich, ob er einfach davonlaufen und Roger selbst mit seinen Problemen fertig werden lassen sollte.
»Was wirst du tun?«
Roger schien sich inzwischen ein wenig zusammengenommen zu haben. Geoffrey schaute ihm ins Gesicht und sah dort eine Entschlossenheit, die vorher nicht da gewesen war. Vielleicht würde Roger doch zurechtkommen.
»Ich wollte den Stall dort drüben anzünden â¦Â«
»Was ist mit den Pferden?«, unterbrach ihn Roger entsetzt. Ein Ritter war ohne sein Reittier nichts wert, und wie alle Normannen hatte auch Roger für Pferde etwas übrig.
»Ihnen wird nichts geschehen. Wenn du den Alarmruf hörst, lass die Tote auf der StraÃe fallen und gehe direkt zur Zitadelle. Du darfst nicht auf mich warten, sonst könnte man dich erwischen. Unsere beste Hoffnung besteht darin, so weit wegzukommen wie möglich.«
Roger nickte. Von seinem üblichen lärmenden Frohsinn war keine Spur geblieben. Geoffrey hatte ihn noch nie so zerknirscht erlebt. Er fragte sich, ob sich wohl alle Mörder in den ersten Augenblicken nach ihrem Verbrechen so verhielten.
Geoffrey ging durch die StraÃe auf die Ställe zu. Roger blieb im Schatten stehen und blickte ihm hinterher â eine Mitleid erregende, ungeschlachte Gestalt mit einem schäbigen Ãberwurf und einem unpassenden, blassblauen Ausgehhemd.
In der HauptstraÃe vor Abduls Palast drängte sich inzwischen eine wimmelnde Masse kämpfender Männer, einige in Rüstung, andere nicht. Manche verwendeten Schwerter, andere Dolche. Geoffrey beobachtete sie einen Augenblick lang neugierig und fragte sich, wie der laute, aber friedliche Abend so unvermittelt in Gewalt hatte umschlagen können. Es gab hier mehr Ritter als die dreiÃig, die er vorher gesehen hatte. Er ging daher davon aus, dass eine streitlustige Gruppe von Lothringern hinzugestoÃen war und mit den schon anwesenden Normannen einen Kampf angefangen hatte.
Unbemerkt erreichte er den Stall und schlüpfte hinein, in den warmen Geruch nach feuchtem Heu und Mist. Ein Pferd wieherte ihm zu und bewegte sich unruhig auf dem Stroh. Geoffrey streichelte dem Tier die Nase, um es zu beruhigen. Wie Roger mochte er Pferde, und er würde sichergehen, dass sie nicht bei lebendigem Leibe geröstet wurden. Er schaute sich rasch um und stellte fest, dass nur drei Pferde hier waren â zwei Streitrösser und ein alter Klepper mit traurigen Augen.
Die Schlachtrösser gehörten vermutlich Rittern, die die ganze Nacht bei Abdul verbringen wollten. Sie waren unruhig, aufgebracht durch das Spektakel drauÃen. Geoffrey schob die Riegel an ihren Verschlägen zurück und entzündete ein wenig loses Stroh. Als das Feuer aufflammte und weiÃer Rauch aufstieg, legte er das Bündel blutbefleckter Bettwäsche darauf und sah zu, wie es verbrannte.
Unter dem beiÃenden Rauchgeruch gerieten die Pferde in Panik und traten nach hinten gegen die Türen ihrer Verschläge. Zu ihrer Ãberraschung waren sie plötzlich frei, und die Schlachtrösser stürmten hinaus. Sie stieÃen zwischen die kämpfenden Männer und vergröÃerten das Durcheinander. Der Klepper folgte ihnen gleichgültig und mit bewundernswerter Eleganz. Gelassen schritt er rückwärts aus dem Verschlag hinaus und nahm sich sogar noch ein Maul voll Heu, ehe er gemessenen Schrittes auf die StraÃe trottete. Er stürmte nicht zwischen die Kämpfenden, sondern floh in die Freiheit der StraÃen Jerusalems.
Inzwischen loderte Geoffreys Feuer munter auf, und der Stall füllte sich mit erstickendem Qualm. Geoffreys Augen brannten, während er Heu zusammenschob, um das Feuer noch anzufachen. Eben als er sich umdrehte, um hinauszugehen, fiel die Stalltür zu. Geoffrey war nicht übermäÃig besorgt, da er glaubte, der Wind habe sie zugestoÃen â bis er deutlich hörte, wie auf der anderen Seite ein Riegel vorgelegt wurde. Ungläubig starrte er auf die Tür, dann schrie er sich die Lunge aus dem Leib und warf sich mit aller Kraft dagegen. Sie hielt stand.
Er bekam nur noch schwer Luft und fiel auf die Knie, um die klarere Luft am Boden zu atmen. Im Niederknien erspähte er ein flatterndes Stück Stoff, das sich in Hüfthöhe in der Tür verfangen hatte. Es sah aus wie ein Teil aus dem Ãberwurf eines Ritters. Vermutlich war es abgerissen worden, als der Besitzer
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