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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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Er erzählte, Howlett habe für sich und seinen Sohn eine Tour zur Front organisiert, mit einem Wagen des Roten Kreuzes.
    Die letzten beiden Briefe, die ich erhalten hatte, waren allerdings vom Ton her etwas gedämpfter gewesen. Über tausend Soldaten waren nach der Schlacht bei Loos im McGill-Lager eingetroffen, und plötzlich war man dort überfordert. Dugald arbeitete die erste Oktoberhälfte fast ohne Schlaf durch und behandelte Soldaten, deren Gliedmaßen von Granatsplittern zerrissen waren. Die Splitter zerfetzten die Haut, wodurch ungleichmäßige Wunden entstanden, die sich leicht entzündeten. Wegen der unhygienischen Bedingungen waren Blutvergiftungen an der Tagesordnung. Die Patienten starben am Dreck.
    Heute Morgen hatte ich Dugalds letzten Brief bekommen, den ich allerdings erst noch öffnen musste. Ich zog ihn aus der Tasche und zeigte ihn George.
    Sie legte ihr Strickzeug beiseite und rieb ihre Brillengläser mit dem Saum des Kleides sauber. »Ich vermute, dieser Mann ist entweder in dich verliebt, oder er hat nicht viele Freunde.«
    »Er hat sogar sehr viele Freunde«, entgegnete ich, weil es stimmte.
    »Weiblichen Geschlechts?«, fragte George etwas spitz. »Du weißt schon, worauf ich hinauswill.«
    »Ja, aber er ist nicht in mich verliebt«, sagte ich. »Dazu ist er nicht der Typ.«
    Miss Skerry setzte ihre Brille wieder auf. »Tatsächlich? Muss man ein bestimmter Typ sein, um sich zu verlieben?«
    Meine Worte waren missverständlich gewesen. »Ich will damit sagen, dass sich Dugald Rivers eigentlich nicht für Frauen interessiert.«
    Georges Augen wurden schmal.
    »Mich mag er, George, und das meint er ehrlich. Aber mehr ist da nicht.«
    »Du hast erzählt, dass er dir seinen Ring gegeben hat.«
    »Ja, aber nur, weil alle Männer so etwas gemacht haben – sie haben Ringe verschenkt und Fotos, auf die sie zärtliche Widmungen für ihre Freundinnen geschrieben haben. Ohne die anderen wäre er gar nicht auf die Idee gekommen.«
    »Soll das heißen, er ist ein Konformist?«
    »Nein. Genau das Gegenteil.«
    »Ich fürchte, da kann ich dir nicht folgen.«
    Ich holte tief Luft. »Die meiste Zeit ist Dugald Rivers er selbst. Und dieses Selbst ist völlig zufrieden damit, Gespräche zu führen und im Museum ein Stück Kuchen zu essen. Aber der Krieg bringt einen gewissen Druck mit sich. Viele der Männer haben Freundinnen, denen sie schreiben können. Dugald hat beschlossen, mich in diese Rolle zu zwingen. Das besitzt eine gewisse innere Logik. Er hat sonst solche Schwierigkeiten, die Konventionen zu befolgen, dass er sich verpflichtet fühlte, mir den Ring zu überreichen. Es war so peinlich! Wie eine Theaterszene.«
    George Skerry zog die Brauen hoch. »Klingt so, als wäre er invertiert«, sagte sie leise.
    Inversion – das Verbrechen der sexuellen Liebe zwischen Männern. Die Mediziner betrachteten diese Liebe als Krankheit. Aber das Buch, das ich in Oxford gelesen hatte, das Werk von Iwan Bloch, war dieser Liebespraxis gegenüber absolut tolerant gewesen.
    »Ich bin mir nicht sicher, was Dugald ist«, sagte ich schließlich. Ich hatte nie mit Dugald über sein Liebesleben gesprochen, und es war mir unangenehm, darüber zu spekulieren, selbst mit einer so intelligenten und verständnisvollen Person wie meiner alten Gouvernante. »Er ist einfach er selbst, George.«
    Miss Skerry lächelte. »Na gut. Außerdem schreibt er großartige Briefe.« Sie strickte ein paar Maschen, dann blickte sie wieder hoch. »Willst du den Brief denn nicht lesen?«
    Ich öffnete den Umschlag. Der Poststempel war vom November. Die Briefe brauchten eine Ewigkeit, um nach Montreal zu gelangen, weil sie zuerst den mit U-Booten verseuchten Atlantik überqueren mussten, um dann in Halifax auf einen Zug geladen zu werden. Der Brief begann mit »Meine Liebste«, was ich aber weder Miss Skerry noch meine Schwester wissen ließ. Laure saß neben mir auf dem Sofa und klapperte unermüdlich mit ihren Stricknadeln.
    Dugalds erster Absatz war dem Regen gewidmet. Die Sonne befand sich in der Picardie offenbar auf dem Rückzug. Nun waren die vordringlichsten medizinischen Probleme rheuma tisches Fieber und Lungenentzündungen, von denen das über lastete Personal heimgesucht wurde. Dugald selbst litt an Asthma. Zwar befanden sich jetzt keine verwundeten Soldaten mehr im Lazarett, aber die Mediziner waren angewiesen worden zu bleiben, bis auf Weiteres jedenfalls, gleichgültig, wie schlimm die Umstände für sie waren.
    Die Zelte waren

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