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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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Jakobs Füßen lag ein Beutel. »Ich habe die Howletts in Oxford besucht, vor meiner Abreise«, sagte er und holte einen Zeichenblock aus dem Beutel. »Ich wollte den Eltern das hier geben.«
    Das Papier war von hoher Qualität, aber die Skizzen waren dilettantisch, was mich wunderte. Die ersten Skizzen stellten Hände dar. Eine Hand hielt eine Gabel, eine andere einen Bleistift. Dann kam eine Reihe von Stillleben aus den Militärbaracken – eine Feldflasche auf einem Tisch, ein Paar Stiefel, das in der Sonne trocknete. Darauf folgten Port räts – Gesichter von jungen Männern, lesend oder schlafend. Manchmal war ihr Oberkörper ebenfalls gezeichnet, schattig schraffiert. Die Zeichnungen sahen aus wie das Portfolio aus einem Malkurs für Anfänger.
    Zwischen den letzten Seiten lagen zusammengefaltet zwei Skizzen, die völlig anders waren. Der Junge war sofort zu erkennen, mit seinen dunklen Haaren und dem verschlossenen Blick. Der Stil war souverän und meisterhaft.
    »Ich habe Revere in Dannes-Camiers das Zeichnen beigebracht«, sagte Jakob.
    Wir betrachteten ihn. Auf einer Skizze stand er in Uniform da, die Augen verdeckt durch eine viel zu große Mütze. Auf der anderen lag er am Flussufer, halb nackt. Dannes-Camiers, in jenem ersten Sommer. Ich war so neidisch gewesen auf sie alle.
    »Stammen die Porträts von Ihnen? Sie sind fantastisch, Jakob. Sie haben ihn genau getroffen.«
    Jakob strich über den Rand des feinen Papiers. Seine Finger waren nicht mehr voller gelber Flecken, merkte ich, und der abgestandene Geruch von Tabak hing auch nicht mehr an ihm. »Er wurde mit der Zeit richtig gut«, sagte er.
    »Sir William wollte die Zeichnungen nicht haben?«, fragte ich und tippte mit dem Finger darauf. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Vater solch einen Schatz ablehnen würde.
    »Kurz bevor mein Schiff ablegte, bin ich nach Oxford gefahren, aber ich habe ihn nicht gesehen. Diese Frau ist wirklich unglaublich. Sie wollte einfach nicht mit mir sprechen.«
    »Lady Kitty?«, sagte ich. »Sie ist gar nicht so übel, wenn man sie näher kennenlernt.«
    »Sie war wie ein Wachhund. Offenbar steht der alte Herr auf der Schwelle des Todes.«
    Das Lächeln gefror auf meinem Gesicht. Vor ein paar Monaten hatte ich bereits gehört, er sei krank, aber ich hatte eher an eine Wintergrippe gedacht. Ich war ja selbst einmal im Winter in England gewesen und hatte die Grippe bekommen. Aber ein Winter in Oxford, der durch die Nachricht von Reveres Tod noch verschlimmert wurde, war vermutlich mehr, als ein Vater ertragen konnte.
    Jakob schaute mich an und lächelte fast grausam. »Das ist üblich heutzutage, Agnes.«
    Ich nahm meine Brille ab, um sie zu putzen, aber auch, um sein Gesicht nicht so deutlich sehen zu müssen. »Bitte, Jakob.«
    »Howlett ist nicht der einzige Mann, der einen Sohn verloren hat, und er wird auch nicht der letzte sein. Die ganze westliche Welt trauert, Agnes. Es ist wie der letzte Akt von Hamlet .« Mit einer Kinnbewegung zeigte er auf den Totenschädel. »Überall Leichen.«
    »Um Gottes willen, Jakob, bitte!«, flehte ich.
    Er sprach nicht weiter, sondern erhob sich. Dann stand er vor mir, trat von einem Fuß auf den anderen. Das furchtbare Lächeln, hinter dem er seine Gefühle verborgen hatte, war verschwunden. »Sie wussten nicht, dass Howlett krank ist?«, fragte er mich. »Sie haben nicht mit ihm korrespondiert?« Seine Augen blitzten. »Sie hängen immer noch an ihm.« Sein Blick ließ mich nicht los. »Nach all den Jahren können Sie nicht loslassen.«
    Er wandte sich zum Gehen, aber ich ließ ihn nicht fort, bat ihn, nicht so schnell wieder zu verschwinden, nachdem er so lange weg gewesen war. Sein Gesicht hatte jetzt einen gefährlichen Ausdruck. Er presste die Lippen fest aufeinander, aber er blieb. Ich erzählte von meinem Leben in Montreal seit dem Frühjahr 1915. Ich beschrieb den leeren Campus, die leeren Straßen in der Stadt. Ich berichtete vom Sockenstricken und von meinen Vorträgen in Boston und New York. Ich sprach von Dugald Rivers und dass seine Briefe meine einzige Verbindung zu den Freunden und Kollegen in Übersee waren.
    Nach einer Weile entspannte sich Jakob ein wenig, und er sagte, er habe Dugald Rivers erst vor Kurzem gesehen. Er sei in London, es gehe ihm gar nicht gut. So viel wusste ich, denn er schrieb mir immer noch fast jede Woche. »Ich habe Sie richtig beneidet, als Sie alle am Anfang in der Picardie waren«, gestand ich und erwähnte auch das Fahrrad, das er

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