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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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manche der Männer, die zurückkamen, hatten England in ihrer Stimme, aber Jakob Hertzlich klang wie immer. »Es passt zu Ihnen, Dr. White.«
    Ich lächelte, obwohl ich wusste, dass er log.
    Ich weiß nicht, wer anfing. Dass ich zu weinen begann, war mir so peinlich, dass ich vor lauter Verwirrung und weil die Tränen mich blind machten, nichts mehr richtig registrierte. Ich wusste ja, wie albern ich aussah, wenn ich weinte. Meine Augen schwollen an, meine Nase tropfte, mein Gesicht verzerrte sich und wurde fleckig. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass es eine ganze Weile dauerte, bis ich begriff, dass Jakob Hertzlich ebenfalls weinte. Er gab dabei keinen Ton von sich, was ich seltsam fand. Aber gleichzeitig auch sehr liebenswert.
    Dann beschloss ich, eine Kanne Tee zu machen, und während wir warteten, bis das Wasser kochte, erzählte er mir von seinem Leben in England. In den letzten beiden Jahren hatte er in einem Militärkrankenhaus in Colchester gearbeitet. Einer der Ärzte dort hatte seine künstlerische Begabung ent deckt und ihn mit einem Verleger bekannt gemacht, der medizinische Texte veröffentlichte. Eins führte zum andern, und er gab seine Arbeit als Pfleger auf, um sich als Anatomie-Illustrator zu betätigen.
    »Bitte, sagen Sie nicht, dass Sie wieder fortgehen!«, rief ich, während ich Tassen und Untertassen deckte. Die Vorstellung, er könnte für immer nach England ziehen, tat mir weh. Natürlich war es eine absurde Reaktion angesichts der Tatsache, dass wir, bevor er Montreal verließ, fast zehn Jahre lang kaum ein Wort miteinander gesprochen hatten, aber er war der erste Mann, der aus dem Krieg zurückgekehrt war, das erste Stück meines alten Lebens.
    Ich reichte ihm eine Tasse, und durch den Dampf, der von dem heißen Tee aufstieg, schaute er mich an. »Ich habe immer noch Verbindungen zu Kanada«, sagte er. »Mein Vater ist krank. Deshalb bin ich hergekommen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Mir auch«, sagte er. »Krank ist er schlimmer als in gesundem Zustand.« Er warf mir einen eigenartigen Blick zu. »Aber ehrlich, Dr. White – Sie brauchen nicht so höflich zu sein. Mich an England zu verlieren wird schon nicht so schlimm sein.«
    Ich musste mich in seine Lage hineinversetzen und die Dinge nicht nur aus meiner Perspektive sehen. Eine aufrichtige Antwort wäre sehr egoistisch gewesen. »Mag sein«, erwiderte ich vorsichtig. Er hatte immer davon geträumt, Illustrator zu werden. Colchester war sicher eine große Chance für ihn, auch wenn die Stadt auf der anderen Seite des Atlantiks lag.
    Jakobs Gesichtsausdruck veränderte sich. Ich hatte ihn gekränkt. Dabei wollte ich doch eigentlich nur Verständnis zeigen, aber wie so oft bei ihm waren meine Bemühungen fehlgeschlagen.
    Wortlos tranken wir unseren Tee. Schließlich durchbrach ich das Schweigen und entschuldigte mich dafür, dass ich ihm nichts zu essen anbieten konnte. Ich sei es nicht mehr gewohnt, dass jemand vorbeikomme, erklärte ich. Deshalb hatte ich auch keinen Grund, meine Schränke mit Vorräten zu füllen.
    Jakob zuckte die Achseln. Das mache nichts, sagte er. »Sie haben von Revere Howlett gehört.« War das eine Frage oder eine Feststellung?
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Howlett hat Ihnen nicht geschrieben?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf und spürte, dass ich rot wurde. In den letzten zwei Jahren waren meine Briefe an Sir William unbeantwortet geblieben. Aus Gründen, die ich mir nicht erklären konnte, war ich offenbar bei dem großen Mann in Ungnade gefallen. Ich bemühte mich, nicht weiter darüber nachzudenken, und meistens gelang mir das auch.
    »Revere ist tot«, sagte Jakob ohne Umschweife. »Nicht weit von Ypern gefallen. Seine Einheit war auf dem Weg zum Höhenzug, und eine Granate hat ihn erwischt.«
    Ich stellte meine Tasse ab.
    »Er hatte Splitter in der Brust, ist aber nicht gleich gestorben. Sie haben ihn noch ins Feldlazarett transportiert.«
    Mit einer Handbewegung bat ich ihn innezuhalten. Revere Howlett, der kleine Junge, der Cowboy und Indianer gespielt hatte, war gefallen. Ich konnte es nicht fassen.
    Jakob starrte mich an.
    »Armer Sir William.« Als ich seinen Namen aussprach, kamen mir erneut die Tränen.
    Jakobs Blick blieb hart. Vielleicht schämte er sich für seinen Gefühlsausbruch von vorhin und fand, dass er ihn kompensieren musste. Oder er hasste mich für meine Schwäche. Ich unternahm einen halbherzigen Versuch, meine Tränen zu trocknen und nach weiteren Nachrichten zu fragen.
    Zu

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