Das Geheimnis der Herzen
befleckte Unterkleidung in unser Bettlaken ein und übergab das anstößige Bündel Miss Skerry zum Waschen.
Anschließend nahm Großmutter mich mit in ihr Zimmer und zeigte mir, wie ich bestimmte Lappen benutzen konnte, um meine Kleidung zu schützen. Erklärungen gab es keine. Die Anleitung bezog sich allein auf die Lappen. Vom Arzt sagte Großmutter nichts, was ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein konnte. Entweder war mein Leiden nicht so ernst, dass ich daran sterben würde, oder es war schon so weit fortgeschritten, dass ärztliche Hilfe nichts mehr nutzte. So war es bei Mutter gewesen. Als der Arzt kam, um sie zu untersuchen, konnte man schon nichts mehr für sie tun. Ich hörte gut zu, welche Instruktionen meine Großmutter mir gab, duldete es, dass ihre alten, trockenen Hände meine Hüften hin und her drehten. Ihr Gesicht ließ keine Fragen zu.
Den Vormittag über saß ich allein im Schulzimmer und stand nur manchmal auf, um die Lappen zu überprüfen. Ich hatte mich auf den Fenstersitz zurückgezogen und mir Jane Eyre vorgenommen. Den Roman hatte ich zwar schon gelesen, aber ich fand ihn sehr schön und tröstlich. Um die Mittagszeit ging die Tür auf, und Miss Skerry schlüpfte herein. »Ich hatte mit der Wäsche zu tun«, sagte sie, und ich wurde rot. »Wie geht es dir?«
Zu meiner eigenen Verblüffung brach ich in Tränen aus. Bis dahin war mir gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mich das Ganze erschreckt hatte. Ich war einsam und verängstigt, mehr oder minder überzeugt, dass ich sterben musste wie meine schwindsüchtige Mutter. Ich wollte nicht weinen und rieb mir wie wild die Augen, aber dadurch rief ich nur einen neuen Schwall Tränen hervor.
»Ist ja gut«, sagte Miss Skerry und reichte mir ein frisches Taschentuch. Sie setzte sich neben mich, nahm die Brille ab und putzte sie mit den Falten ihres Rocks. »Hat dir deine Großmutter das mit der Menstruation nicht erklärt?«, fragte sie, hielt die Brille ins trübe Gaslicht und setzte sie dann wieder auf.
Ich sah sie verwirrt an.
Die Gouvernante schwieg. Sie ergriff meinen Skizzenblock und einen Bleistift und schlug ein leeres Blatt auf. Ihre Zeichnungen stimmten in den Proportionen nicht, aber für mich waren sie besser als die Gemälde in einem Museum. Ich sei jetzt eine Frau, sagte Miss Skerry. Das, was sie Menstruation nannte – nach dem lateinischen Wort für Monat –, sei keine Krankheit. Es sei einfach nur etwas, das die Gebärmutter ausstößt, wenn der weibliche Fruchtbarkeitszyklus von Neuem beginnt. Ich sei jetzt fruchtbar, nicht anders als ein Tier, wenn es die Geschlechtsreife erreicht, oder ein Feld, das für die Aussaat bereit ist. Oder die Ehefrauen und Mütter, die jeden Tag durch die Straßen von St. Andrews East spazierten. Ich sei erwachsen.
Ich fühlte mich aber nicht »erwachsen«. Ich blickte an meinem Körper hinab, der sich im letzten Jahr auffällig verändert hatte. Er war rund und weich geworden, wo er vorher so flach und hart gewesen war wie der eines Jungen. Jetzt auch noch Blut und Bauchschmerzen, die Miss Skerry Menstruationskrämpfe nannte. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wollte. Die Informationen waren erschlagend, aber wenigstens wusste ich, dass ich am Leben bleiben würde. Mit mir war alles in Ordnung.
Miss Skerry erklärte mir diese Dinge – wie von jetzt an alles, was ich ihrer Meinung nach lernen sollte – in klaren, präzisen Worten. Die Menstruation, sagte sie, sei eine Zeit, in der die Frau sich Ruhe gönnen und nachdenken sollte. Der weibliche Körper sei wie ein Garten, mit Zyklen des Werdens, Wachsens und Vergehens. Die Frau müsse ihn in all seinen Phasen hegen und achten.
Das Heilmittel gegen die Krämpfe war Wärme, die an diesem kalten Januartag für mich ebenso von dem Lächeln der Gouvernante ausging wie von der Wärmflasche, die sie für mich machte und mir auf den Bauch legte. »Da«, sagte sie und tätschelte die Wärmflasche, sodass das Wasser darin gluckste. »Eine Frau zu sein ist manchmal schmerzhaft, Agnes White, aber ich versichere dir, tödlich ist es kaum.«
4
Juni 1885, Montreal
E s ist traurig, aber wahr, dass die Menschen dazu neigen, über die Probleme in ihrem Leben nachzugrübeln und das Gute zu vergessen. Ich bin da keine Ausnahme, denn in dieser Darstellung meiner Jugendzeit überspringe ich die zwei Jahre, die ich in Miss Skerrys Gesellschaft auf Großmutters Farm verbrachte und die zu den glücklichsten Jahren meines Lebens zählen. Natürlich war mir
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