Das Geheimnis der Herzen
Unmöglich. Vor allem, weil wir ja keinen Aufschub bekommen würden.
»Das ist eine schwierige Aufgabe. Eine Aufgabe, vor der selbst dieses Komitee mit all seiner Begeisterung und seinem Engagement verzagen könnte. Doch zum Glück stehen in den Kulissen andere bereit, um einzuspringen.« Sie machte eine dramatische Pause und schaute sich um, ob auch alle Blicke auf sie gerichtet waren.
»Ich habe Neuigkeiten, meine Damen. Während Agnes heute Vormittag beim Dekan der medizinischen Fakultät war, habe ich die bevollmächtigten Anwälte von Lord Strathcona besucht, dem Mann, dessen Name in Montreal für Frauenbildung steht. Lord Strathcona weilt zurzeit in London und kommt erst nächsten Monat nach Kanada zurück, verfolgt aber unsere Kampagne sehr genau durch die Korrespondenz mit mir und mit anderen Unterstützern dieser Sache. Die Donaldas der McGill sind ja gewissermaßen seine geistigen Töchter.« Mrs Drummond hielt erneut inne, diesmal, um einen Umschlag aus ihrer Handtasche zu ziehen. »Lord Strathcona wünscht, seine Großzügigkeit auf angehende Ärztinnen auszuweiten.«
Mrs Drummond nahm von ihrem Dienstmädchen einen Brieföffner mit Elfenbeingriff entgegen und schlitzte den Umschlag auf. Dann wandte sie sich an mich. »Übernehmen Sie die Verkündung, liebe Agnes?«
Ich musste zweimal auf den Scheck schauen und die ganzen Nullen zählen, um mich zu versichern, dass ich nicht träumte. Es waren fünf Stück. »Einhunderttausend Dollar«, las ich vor.
Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Ich hob den Kopf. Direkt vor mir stand, noch immer an die Wand gelehnt, Huntley Stewart mit offenem Mund. Neben ihm sah ich Andrew Morely, aber sein Gesicht war vom schwarzen Gehäuse einer Kamera verdeckt.
Im nächsten Moment blendete mich ein Blitz. Frauen begannen, meinen Namen zu skandieren. Felicity war jetzt bei mir, fiel mir um den Hals und hüpfte auf und ab. Großmutter legte mir die Hand auf den Arm, und selbst Laure drückte mich herzlich. Ich stand völlig überrascht inmitten dieser wogenden, lärmenden Menge. Sprachlos.
7
1. Mai 1890
E s klingelte, als Laure mir gerade die letzte Haarnadel in die Frisur steckte. »O nein!«, rief sie und entriss mir den kleinen Handspiegel, um selbst hineinzuschauen. »Er ist da!«
Laures Gesicht war wie immer wunderschön. Ihre Haare auch. Am Vorabend hatte sie die Strähnen zwei Stunden lang auf Stoffstreifen gewickelt, und jetzt drang eine Flut von honigfarbenen Ringellocken unter ihrem modischen Hut hervor.
»Du siehst großartig aus«, sagte Großmutter, schon auf dem Weg zur Haustür. »Soll ich ihn hereinführen? Ist Agnes fertig?«
Ich betastete meine Haare und die Haube, die Laure mir geliehen hatte. Ich hoffte sehr, dass ich fertig war, aber vergewissern konnte ich mich nicht, weil Laure mir ja den Spiegel fortgenommen hatte und sich damit in der Küche im Kreis drehte. »O Gott«, sagte sie immer wieder und starrte auf ihre Locken. »O gütiger Gott!«
Die Haustür ging auf, und wir hörten Huntley Stewarts etwas schroffes Hallo. Großmutter lachte mädchenhaft, dann war es still, während Huntley seine Galoschen auszog. Er wollte Laure und Großmutter zu einer Einladung bei seiner Mutter abholen. Das war für unsere Familie ein ebenso wichtiges Ereignis wie mein Termin an der McGill. Laure und ich hatten in der Nacht sehr wenig geschlafen. Den ganzen Morgen schon waren wir nervös, obwohl wir beide glaubten, dass unsere Besuche erfolgreich verlaufen würden.
»Mister Stewart ist da«, verkündete Großmutter, als sie Huntley in die Küche führte.
Er blieb in der Tür stehen und wiederholte seine französische Höflingsverbeugung vom Vortag. Als er sich aufrichtete, war sein Blick auf Laure geheftet. »Sie sind so schön wie ein Frühlingstag.«
Ich biss mir in die Wange. Hatte er denn nicht gemerkt, dass es draußen goss? Nicht alle Frühlingstage waren identisch. Aber Laure wurde rot, als wäre der Vergleich ein ganz wunderbares Kompliment.
Dann sah Huntley mich an. »Die hier habe ich Ihnen mitgebracht, Agnes«, sagte er und hielt mir eine durchweichte Papiertüte hin. »Sie sind leider nass geworden, aber ich dachte, das würden Sie sehen wollen.«
Laure und Großmutter drängten sich an mich, als ich die Zeitungen auf dem Tisch ausbreitete. Es waren drei Stück, und von allen Titelseiten sprang mir mein Bild entgegen: überall dasselbe Foto, das von gestern, von Mrs Drummonds Party.
»Drei Fotos!«, rief Großmutter.
»Sie ist auf Seite
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