Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
Vom Netzwerk:
arbeitete als Assistenzarzt in der Pathologie.
    Sobald er über Howlett zu reden begann, veränderten sich seine Augen. Vorher waren sie braun und stumpf wie Baumrinde gewesen, jetzt aber fingen sie plötzlich an zu blitzen und zu funkeln. Er schaute mich nicht an beim Reden, sondern richtete seinen Blick auf eine Stelle irgendwo über meiner linken Schulter. Ich drehte mich ein paarmal um, weil ich dachte, es stehe vielleicht jemand hinter mir, aber ich sah nur die Krankenhauswand. Seine Stimme veränderte sich ebenfalls, und in seiner Begeisterung geriet er ganz außer Atem. Alle paar Wörter keuchte er auf, als könnte sein Mund mit der Vielzahl seiner Gedanken nicht mithalten. Einmal, nach einer besonders enthusiastischen Lobeshymne, krümmte er sich stöhnend zusammen.
    Als es passierte, hielt er meine Hand. Ich lag immer noch auf dem Krankenhausflur, mit angezogenen Knien, damit ich nicht wieder in Ohnmacht fiel, und er hatte mich gerade verbunden, nachdem die Schwester das Material gebracht hatte. Dann rang er plötzlich nach Luft. Ich hatte einmal gesehen, wie ein kleines Kind an so etwas starb – es bekam nicht genügend Sauerstoff in die Lunge –, aber bei erwachsenen Männern kam das selten vor. Der Anfall war so schnell vorüber, wie er gekommen war, und Dugald Rivers ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Es kommt wahrscheinlich von den Baumpollen. Anscheinend haben wir heute beide Probleme mit der Gesundheit.«
    Ein paar Minuten später kniete er wieder bei mir und sicherte den Verband an meinem Finger mit einem letzten Knoten. »Das wär’s«, verkündete er, und beim zweiten Wort überschlug sich seine Stimme etwas. »Mit diesem Ding sehen Sie aus wie ein Soldat. Heute Abend wird die Wunde ein großartiger Gesprächsgegenstand sein.«
    Ich lachte. Inzwischen hatte ich es geschafft, mich aufzurichten, und in meinem Kopf drehte sich nicht mehr alles. Allmählich gewöhnte ich mich auch an Rivers’ Stimme, aber es war mir peinlich, dass ich ihn so schwach gesehen hatte. Um die Spannung zu lösen, hob ich die Hand mit dem verbundenen Finger, der jetzt natürlich viel länger war als die anderen, und deutete damit auf ihn. Er grinste und hob die Hände wie ein Gefangener.
    Dieser Dugald Rivers war Howlett hörig. Da gab es keinen Zweifel. Und damit war er eindeutig nicht allein. Wir waren alle Mitglieder eines riesigen Clubs. Von diesem großen Mann zum Abendessen eingeladen zu werden war eine Ehre, nach der sich viele sehnten. Aber wie sollte ich es anstellen? Fast alle Kleidungsstücke, die ich mitgebracht hatte, hatten Blutflecken oder waren sonst wie schmutzig. Ich konnte nichts mehr waschen, zumal ich ja nur eine Hand zur Verfügung hatte. In meinem Schrank im Hotel hing noch ein sauberes Kleid. Aber welche Schuhe sollte ich tragen? Und auch meine Tasche war ruiniert. »Ich sehe furchtbar aus«, murmelte ich und schaute an mir hinunter. Überall war trocknendes Blut.
    Rivers grinste. »Da habe ich schon Schlimmeres gesehen. Sie sprechen mit einem Arzt, das dürfen Sie nicht vergessen.«
    Seine Worte waren nicht gerade ein Trost.
    »Den Chief stört das bestimmt nicht«, versicherte er mir dann. Während der Visite hatte immer wieder jemand Howlett als Chief tituliert. »Er ist schließlich auch Mediziner. Und Sie können sich darauf verlassen, dass Mrs Chief sich höflich verhält.«
    Ich musterte ihn fragend. »Mrs Chief?«
    Rivers nickte. »Kitty Revere Howlett. Die Ehefrau.«
    Es gab also eine Ehefrau. Bei einem so erfolgreichen Mann wie Howlett hätte ich mir das eigentlich denken können, aber aus irgendwelchen Gründen war mir diese Möglichkeit gar nicht in den Sinn gekommen.
    »Sie ist nicht übel«, sagte Rivers freundlich. »Wenn man ihren Puppen-Spleen ignoriert.«
    »Ihren Puppen-Spleen?«, wiederholte ich, weil ich dachte, ich hätte mich verhört.
    »Das Haus ist voller Puppen. Gut ist allerdings, dass Mrs Chief nie lange dabei bleibt. Gleich nach der Mahlzeit verabschiedet sie sich immer. Sie mag keine Medizinergespräche.«
    Ich nickte und schielte verstohlen zu meiner Tasche hinüber. Auf jeden Fall wollte ich sie heute Abend mitnehmen, aber ich musste aufpassen, dass Mrs Chief den Inhalt nicht zu sehen bekam.
    »Der Junge ist niedlich. Seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.« Rivers schwieg kurz und holte dann tief Luft. »Ich weiß nicht, wieso ich Ihnen das alles erzähle«, sagte er. »Vielleicht, weil Sie großes Glück haben. Das

Weitere Kostenlose Bücher