Das Geheimnis der Herzen
am Ufer, barfuß und im Nachthemd, und suchte Großmutter, die meinen Namen rief. Ihre Stimme schien aus dem Fluss zu kommen, doch der Nebel war so dicht, dass ich nichts sehen konnte.
Ich richtete mich auf und merkte, dass ich verschlafen hatte: Es war fünf Minuten vor acht. Jemand klopfte laut an meine Tür und rief meinen Namen. Es war Peter, der Mann, der für meine Schwester arbeitete. Als ich die Tür öffnete, starrte er mich mit großen Augen an. Anscheinend fand er es seltsam, dass ich um diese Zeit im Morgenmantel herumlief und mich noch nicht frisiert hatte. Dabei war doch heute der Tag, den Gott zum Ausruhen bestimmt hatte. Aber es war tatsächlich extrem ungewöhnlich für mich, was er natürlich nicht ahnen konnte. Im Winter ging ich normalerweise vor Tagesanbruch aus dem Haus und ins Museum. Die Sonntage bildeten da keine Ausnahme, außer dass ich mir am Vormittag eine Pause gönnte, um den Gottesdienst in der St. James’s Church zu besuchen. Aber am Tag zuvor hatte ich bis spät in die Nacht gearbeitet. Ich schaute hinter mich. Überall auf dem Boden lag Papier. Ein Teller mit einer halb gegessenen Teigtasche stand unübersehbar mitten in dem Durcheinander.
»Peter!«, rief ich munterer, als ich mich fühlte. »Was führt Sie hierher?«
Er blickte schnell nach rechts und links und murmelte dann seine Botschaft, wagte aber nicht einzutreten. Meiner Schwester gehe es nicht gut. Mr Stewart bitte mich, sofort zu kommen. Einzelheiten nannte er nicht. Ich versprach, mich augenblicklich auf den Weg zu machen, und schickte ihn wieder zu Huntley.
In Windeseile zog ich mich an, frisierte mir die Haare und trat hinaus auf die strahlend weiße Straße. Am Abend hatte es geschneit, aber heute schmolz der Schnee schon wieder. Die Sonne schien so warm, dass ich meinen Schal lockern musste und den Mantel aufknöpfte. Es war erst Februar, aber bei diesem Tauwetter zeigte sich eindeutig ein Hauch von Frühling. In den Rinnsteinen plätscherte Wasser. Die Erde wurde wärmer. Das Wetter schaffte es allerdings nicht, meine Stimmung aufzuhellen. Ich war immer noch angespannt wegen meines Traums, und dass Peter an einem Sonntagmorgen plötzlich mit schlechten Nachrichten auftauchte, verstärkte die innere Unruhe noch. Ich ging sehr schnell und dachte dauernd an meine Schwester. Peter war so wortkarg gewesen, dass ich nicht beurteilen konnte, wie ernst die Lage war.
Laure wohnte nicht weit von mir. Man brauchte kaum eine Viertelstunde von meinem Zimmer in der Union Street zu ihrem Haus in der Mountain Street. Meine Stiefel machten ein Geräusch wie Hufgeklapper. Sie hatten dicke Sohlen, fast wie die Schuhe der Farmer in St. Andrews East. Huntley hatte gelacht, als er mich das erste Mal mit diesen Stiefeln sah, aber das störte mich nicht. Sie waren viel praktischer als diese feinen, instabilen Dinger, die er immer für Laure kaufte.
Mein Schwager und ich konnten immer noch nicht recht etwas miteinander anfangen. Laure zuliebe beherrschten wir uns und waren nicht offen feindselig, aber ich bemühte mich vor allem, ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn ich meine Schwester besuchte, tat ich das meistens, wenn Huntley nicht da war, oder ich bat Laure, zu mir zu kommen. Heute war definitiv eine Ausnahme. Es musste etwas Schlimmes vorgefallen sein, wenn Huntley nach mir schickte.
Seit der Beerdigung hatte ich Laure nicht mehr gesehen. Ich zählte die Tage. Elf. Unmöglich! Wieso war ich nur so nachlässig gewesen? Ich hatte auf meine Art getrauert und mich im Museum bei meinen Herzen verkrochen. Gerade erst war ich damit fertig geworden, einhundert von Howletts kardiologischen Fällen zu kompilieren, sie nach ihren Anomalien zu klassifizieren und die Ergebnisse zusammenzufassen. Er war so erfreut gewesen, als ich es ihm erzählte, dass er sofort nach einem Verlag suchte. Aber jetzt musste ich den Preis dafür bezahlen, dass ich mir den Luxus erlaubt hatte, mich zurückzuziehen und zu arbeiten.
Ich war von der Union Street in die Sherbrooke Street eingebogen und ging jetzt die Mountain Street hinauf. Die Sonnenstrahlen streichelten meinen Kopf, sie ließen den Schnee auf den Dächern und Fenstersimsen der Häuser glitzern, sodass diese aussahen wie zuckrige Lebkuchenhäuser. Ein viel zu strahlender Tag für Katastrophen, sagte ich mir, viel zu hell, viel zu sonnig.
Huntleys Grundstück war sehr ansehnlich und von einem Zaun umgeben. Sein Vater hatte gleich nach der Hochzeit für das junge Paar dieses Anwesen und das imposant
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