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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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eine Erklärung, aber ich vermochte nicht weiterzureden. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Wenn ich auch noch ein Wort zu dem Thema sagte, würde Rivers merken, wie tief ich emotional in diese Geschichte verstrickt war. Sekunden vergingen. Ich spürte, wie mir langsam die Röte ins Gesicht stieg – und dann stand plötzlich Jakob mit dem Wasserkessel neben mir.
    »Er wollte gerade anfangen zu pfeifen«, sagte er. »Können Sie mir sagen, wo ich die Teekanne finde?«
    Eine Welle der Dankbarkeit durchströmte mich, aber ich ließ es mir nicht anmerken, sondern zeigte ihm die Kanne. Dann stellte ich die Tassen auf den Tisch und maß mit übertriebener Sorgfalt zwei Löffel Rauchtee in die Kanne. »Haben Sie schon einmal Lapsang Souchong probiert?«, fragte ich Dugald. Hoffentlich klang meine Stimme einigermaßen normal.
    Dr. Rivers schüttelte den Kopf.
    »Dieser chinesische Tee ist etwas Besonderes.« Mit dem Thema hatte ich mich auf weniger gefährliches Terrain begeben. »Und falls er Ihnen nicht schmeckt, finden Sie einen gewöhnlichen Schwarztee auf dem Regal.« Ich hatte die Situa tion wieder einigermaßen im Griff. Lächelnd schnitt ich mit einem Skalpell das Band der Gebäckschachtel durch. Zwei meiner Lieblingstörtchen leuchteten mir entgegen wie die aufgehende Sonne. »Aprikose!«, rief ich entzückt. »Ich glaube, wir werden gute Freunde, Dugald Rivers.«
    Milch gab es leider nicht, aber ich hatte einen Vorrat an Zuckerstücken und noch ein halbes Baguette, das vom Mittagessen übrig geblieben war. Ich bat Dugald, es aufzuschneiden, während ich eine Gurke schälte.
    »Gurkensandwiches?«, murmelte er. »Wie kultiviert.«
    »Man muss einen gewissen Standard halten, Dugald. Vor allem bei unserer Tätigkeit.«
    Jakob setzte sich zu uns. Er mochte Dugald, was ich absolut verstehen konnte. Ich schnitt die Törtchen einmal durch, damit er auch etwas abbekam. Es machte Freude, ihn zu verköstigen. Aufgrund seines mageren Lohns schien er ständig Hunger zu haben.
    Im Verlauf des Gespräches erzählte Jakob, dass ich für Howlett arbeite. »Sie schreibt wissenschaftliche Abhandlungen für diesen Mann in Baltimore, den Sie offenbar so sehr bewundern.«
    Rivers hörte auf zu kauen. Er stellte seine Teetasse ab und wurde rot.
    Jakob blickte zwischen uns hin und her. »Sie verfasst ein Kapitel für sein Lehrbuch, das demnächst erscheint.«
    Dugald musterte mich neugierig. »Stimmt das, Dr. White?«
    Ich nickte. Ich war die einzige Frau unter einhundertundvier Medizinern, die aufgefordert worden waren, einen Beitrag zu der von Dr. Howlett herausgegebenen mehrbändigen Reihe zu schreiben. Dugald begann leicht zu keuchen. Man musste mit diesem Mann, der völlig unfähig war, seine Gefühle zu überspielen, wirklich Mitleid haben.
    »Über welches Thema?«
    »Das Herz«, antwortete ich stolz. Ich wusste, dass ihn das noch mehr aufwühlen würde. Die Katalogisierungsarbeit hatte schnell Früchte getragen. »Damit hat alles angefangen«, sagte ich und deutete auf das eingerahmte Exemplar meiner ersten Veröffentlichung.
    An meiner ersten Forschungsarbeit über dieses Herz, das fälschlicherweise Howlett-Herz genannt wurde, hatte Howlett gesehen, dass ich schreiben konnte. Er hatte mich beauftragt, eine statistische Erhebung über einhundert seiner anderen, weniger spektakulären Herzen durchzuführen. Und er hatte mir auch geholfen, diese Arbeit zu veröffentlichen.
    »Dr. Howlett ist ein Experte auf dem Gebiet des Blutkreislaufs, aber er brauchte Hilfe bei den angeborenen Faktoren«, erklärte ich. Genau genommen gab es niemanden, der angeborene Herzfehler zum Schwerpunkt seiner Arbeit machte. Man konnte in diesen Fällen nicht viel mehr tun, als eine Diagnose stellen und später die Obduktion vornehmen. Geld gab es dafür nicht.
    »Sie haben verdammt viel Glück«, murmelte Dugald.
    Ich zuckte abwehrend die Achseln. Es war keine besonders große Ehre, diese Arbeit machen zu dürfen. Konkret bedeutete es schlaflose Nächte an der Schreibmaschine, nach anstrengenden Tagen an meinem Arbeitstisch im Museum. Ich hätte sofort mit Dugald Rivers getauscht. Er arbeitete in einem Krankenhaus und führte die Autopsien durch, die ich lediglich in Nachhinein untersuchte und tabellarisch dokumentierte. »Sie sind derjenige, der Glück hat. Sie haben ein Forschungsstipendium an der McGill bekommen.«
    Wir aßen und tranken, Dugald Rivers war begeistert von meinem Rauchtee, ich von seiner Gebäckauswahl, und mithilfe des hungrigen

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