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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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halbes Dutzend Reporter wollten ein Interview. Als wir ins Open Arms zurückkehrten, zitterte ich vor Erschöpfung. Eine Mischung aus Reisemüdigkeit, gereizten Nerven und einem unangenehmen britischen Virus drohte mich in die Knie zu zwingen.
    Der Tisch war mit Zierdeckchen versehen. Auf diesen standen Etageren mit Gebäck in verschiedenen Pastelltönen: Ballerina-Rosarot, Lindgrün, Sonnengelb. Es gab auch Party-Sandwiches – Dreiecke, die mit Frischkäse oder mit Ei gefüllt waren. Ich trank Tee und hielt die Tasse ganz nahe an mein Kinn, damit die Flüssigkeit nicht überschwappte. Mein Hals brannte, aber nicht vom Tee. Meine Wangen glühten von der steigenden Temperatur.
    »Wer ist der geheimnisvolle Herr, der sich in Ihrem Museum versteckt?« Der Mann, der unser Lehrbuch veröffentlicht hatte, musterte mich durch eine Brille, deren Gläser so dick waren, dass seine Augen aus den Höhlen zu quellen schienen wie die eines Fisches.
    Ich trank einen Schluck Tee. Der Mann meinte natürlich Jakob Hertzlich, und Jakob war der letzte Mensch, über den ich im Moment reden wollte.
    »Seine Arbeit ist erstklassig. Sie müssen ihn unbedingt mitbringen, wenn Sie das nächste Mal über den Ozean reisen.«
    Stumm trank ich noch einen Schluck.
    »Er ist zu begabt, um als technischer Assistent zu arbeiten, wenn ich das einmal so sagen darf. Wenn er in London wäre, würde ich ihn Ihnen ausspannen.«
    Immerhin brachte ich ein verkrampftes Lächeln zustande. In Montreal war die Situation in letzter Zeit fast unerträglich gewesen. Der Verleger, an dessen Namen ich mich nicht erinnerte, ahnte natürlich nicht, welch heikles Thema er angesprochen hatte. Seit sieben Monaten, also seit der abgesagten Tee-Einladung im April, herrschte eine unglaubliche Spannung zwischen Jakob und mir. Es war ein Riesenfehler gewesen, dass ich mich auf die Intimität mit ihm eingelassen hatte, und so wie es aussah, gab es keine Möglichkeit, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Und Jakob selbst unternahm selbstverständlich nichts, um die Lage zu verbessern.
    Am Morgen danach wechselten wir kaum ein Wort miteinander. Als er begriff, dass es keine weiteren Zärtlichkeiten geben würde, bemühte sich Jakob nicht mehr im Geringsten, höflich zu sein. Den ganzen Herbst über war er schlechter Laune, unfreundlich zu mir und zu allen anderen Mitgliedern der Fakultät. Ich versuchte, ihm konsequent aus dem Weg zu gehen, was auf dem engen Raum nicht leicht war. Wir hatten die Präparate für die Katalogisierung aufgeteilt und arbeiteten in entgegengesetzten Ecken. Wir sprachen nicht miteinander, außer wenn es absolut unumgänglich war. Im Grund verhielten wir uns wie Mönche, die sich mit paral lelen Aufgaben beschäftigten und dabei beharrlich ihr Schwei gegelübde einhielten.
    Meine Strategie funktionierte eine Weile, aber kurz vor meiner Abreise wurde Jakob richtig gemein. Er sei noch nie einer Frau begegnet, die so blind sei wie ich, sagte er. Letztlich sei ich nicht viel mehr als Howletts Lakai. Die Zeit hatte nicht mehr für eine offizielle Rüge gereicht, aber ich hatte das Museum und Montreal mit einer klaren Entscheidung verlassen: Nach meiner Rückkehr wollte ich Dekan Clarke mitteilen, dass Mr Hertzlich gehen musste.
    »Kuchen?« Der Verleger deutete auf das Gebäck.
    Wenn ich ablehnte, lief ich Gefahr, mir noch mehr solcher Bemerkungen von ihm anhören zu müssen, also bediente ich mich lieber. Der Zuckerguss war hart und glatt wie Gipsverputz. Winzige Zuckerperlen verzierten die Oberfläche. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
    Als ein beharrliches Geklingel ertönte, drehten sich die Ärzte, Verleger, Journalisten und Oxford-Professoren alle in die entsprechende Richtung. Das Gespräch verebbte. Sir William klopfte mit seinem Löffel an ein leeres Champagnerglas. Sobald alle verstummt waren, stellte er das Glas auf den Tisch und füllte es.
    »Ich möchte einen Toast ausbringen, meine Damen und Herren«, verkündete er feierlich und hob das perlende Getränk. Die »Damen« waren nicht sehr zahlreich. Außer Kitty, einigen Dienstmädchen und mir bestand die Versammlung ausschließlich aus Männern. Sir William ging auf mich zu, und zu meiner und aller Anwesenden Verwunderung reichte er mir das Glas. Ich wurde rot. Nie wieder wollte ich dieses Getränk zu mir nehmen, und schon gar nicht vor so vielen Menschen.
    »Sie haben es verdient!«, rief er, obwohl ich verwirrt den Kopf schüttelte. Frauen tranken nicht. Wenn ich das Glas annahm, bedeutete

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