Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
werden.«
    Jeels zog sich in den Schatten des Hauses zurück. Er stellte seine Tasse auf einem winzigen Holztisch ab und schob sich einen Stuhl heran. Der Wind wehte den leichten Duft der Strandnelken zu ihm herüber.
    Er dachte wieder an Wemke. Der Jagdausgang würde ihr gefallen. Als der gestrige Tag noch einmal vor seinem geistigen Auge vorüberzog, vermeinte er fast ihre Nähe zu spüren. Sie dachte an ihn, jetzt, in diesem Moment. Da war er sich ganz sicher.
    Mit einem Seufzer schlug Jeels das Buch auf. Über ein Jahr war seit dem letzten Eintrag vergangen.
     
    Dass Einsamkeit so wehtun kann! Manchmal sehe ich Tag und Nacht keinen einzigen Menschen. Wenn es Tedamöh nicht gäbe, dann müsste ich wohl verrückt werden. Gestern habe ich mich dabei ertappt, wie ich mit einer Möwe ein Gespräch begann. Hätte ich doch nur einen Menschen, der zu mir gehören würde …
    Aber da ist niemand, und die trüben Gedanken werden das nicht ändern. Ich habe das Meer und den Strand, das Himmelsblau und die Vögel als Freunde. Das ist genug, um dankbar zu sein. Und, wenn mich nicht alles täuscht, dann wird morgen bestimmt Tedamöh auftauchen und meine Hilfe benötigen. Ich spüre es. Regines Kind wird bald zur Welt kommen …
     
    Es war später Abend. Die Badegäste der geheimen Hofrätin waren schon lange zum Konversationshaus zurückgekehrt. Trotzdem wählte Reemke eine Stelle weit entfernt vom Badestrand, um ins Wasser zu gehen. Sie hatte das grüne Leinenkleid in den Dünen abgelegt und ihr langes rotes Haar mit zwei Nadeln hochgesteckt. Mit nackten Füßen rannte sie durch den Sand bis zum Meeressaum.

    Obwohl ablaufendes Wasser war, musste sie einfach ins Meer steigen. Der Tag war so heiß gewesen, dabei war erst Juni. Den ganzen Tag lang hatte sie sich auf diesen Moment gefreut. Da konnten die Insulaner noch so sehr gegen das Schwimmen wettern.
    »Ertrinken ist ein Gottesurteil«, sagten die Alten. »Wenn es für einen vorgesehen ist, dann sollte man sich nicht auch noch dagegen wehren. Wer nicht schwimmen kann, hat es leichter.«
    Reemke hat das Schwimmen sehr früh schon von der Mutter gelernt und diese wiederum von ihrem Vater. Er hatte moderne Ansichten vertreten und, da sie an der Küste wohnten, um sein einziges Kind gefürchtet. Für die Mutter hatte eine besondere Freiheit darin gelegen, sich ins Wasser zu begeben. Und Reemke schwamm schon als Kind so sicher, als sei sie im Meer geboren worden. Sie war froh darüber, diese Kunst zu beherrschen.
    Ein Freudenschrei entfuhr Reemke, als ihre Füße vom Wasser umspült wurden. Die einzigen Geräusche um sie her waren das Rauschen der Brandung und die klagenden Schreie der Möwen. Welch ein Geschenk nach den anstrengenden Stunden! Sie hatte Tedamöh den ganzen Tag bei einer Geburt unterstützt. Das Kind hatte auf die Welt gedrängt, doch die Mutter war sehr eng gebaut, und so brauchte es seine Zeit, bis es das Licht erblickt hatte. Zum Glück war alles gutgegangen.
    Ein Lächeln glitt über Reemkes Gesicht, als sie an den neuen Erdenbürger dachte. Wie weich die Haut des Säuglings gewesen war. Es hatte eine Seite in ihr berührt, die sie noch nicht kannte. Wie es wohl wäre, die Verantwortung für solch einen kleinen Menschen zu tragen, seine Liebe zu spüren? Eine schmerzhafte Sehnsucht durchströmte Reemke. Sie würde weder Mann noch Kind haben und immer alleine sein. Doch daran wollte sie nicht denken, nicht jetzt, nicht hier.
    Reemke stürzte sich in die Wellen und schwamm ins Meer
hinaus. Nach der Hitze des Tages war das Wasser herrlich erfrischend. Immer weiter entfernte sie sich vom Strand, verausgabte sich, bis die Anstrengung alle anderen Gefühle ausschaltete. Sie tauchte unter hohen Wellen hindurch, glitt geschmeidig durch das Wasser und überließ sich dem Gefühl, schwerelos zu sein, ein Teil des Meeres.
    Endlich, als ihre Kräfte vorerst erschöpft waren, tauchte sie prustend auf und wischte sich das Wasser aus den Augen. Sie war außer Atem, und in ihren Ohren rauschte das Blut. Eine Weile ließ sie sich auf dem Rücken treiben. Es tat gut, sich einfach nur auszuruhen. Gleich würde sie umkehren müssen.
    Jetzt, da sie sich entspannte, kehrten die Gedanken zurück. Nachts glaubte sie manchmal am Alleinsein zu ersticken. Tagsüber war es leichter zu ertragen. Ab und zu kam Tedamöh, um sie zu besuchen, aber auch, um Hilfe zu erbitten, so wie heute. Wie gut, dass sie so vieles von ihr gelernt hatte. Sie kannte fast alle Heilkräuter und hatte schon

Weitere Kostenlose Bücher