Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
das heiße Getränk in zarte, fast durchsichtige Tassen. Betont freundlich forschte sie nach Einzelheiten aus Wemkes Leben, durchblätterte ihre Referenzen und nickte immer wieder zufrieden. Wemke konnte sich nur schwer dem Zauber entziehen, den die Aufmerksamkeit und das Interesse der feinen Dame auf sie ausübten. Mit Begeisterung beschrieb sie ihre Kenntnisse in den Schönen Künsten. So geschickt stellte die Hofrätin es an, dass Wemke bereitwillig auch viel Persönliches aus ihrem Leben preisgab, nur über den Tod der Eltern ließ sie sich kein Wort entlocken. Wemke spürte das Wohlwollen der Hofrätin und entspannte sich zunehmend. Vielleicht hatte sie sich dieses merkwürdige Gefühl der Bedrohung nur eingebildet.
Erschrocken nahm Wemke wahr, dass die Uhr fünf schlug.
»Ich sehe, Sie werden ungeduldig«, sagte die Hofrätin lächelnd. »Dabei haben wir noch so viel zu besprechen und Sie wissen noch nicht die winzigste Kleinigkeit über Ihre Stellung.«
Wemke schnappte nach Luft. »Sie meinen …«
Die Hofrätin nickte. »Ich habe mich entschieden. Eigentlich schon in der Minute, als Sie zur Tür hereinkamen, meine Liebe. Natürlich liegt die letzte Entscheidung noch bei Ihnen.«
Völlig überrumpelt sank Wemke in ihren Sessel zurück. Erwartungsvoll richtete sie die Augen auf die Hofrätin.
»Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Es ist, wie schon in der Anzeige stand, eine Stellung auf der Insel Wangerooge. Ich brauche eine gebildete Persönlichkeit, die mit den Badegästen den Schönen Künsten frönt. Das wäre genau das Richtige für Sie. Es wird Ihnen gefallen auf Wangerooge. Eine wunderschöne Insel, wie ich Ihnen versichern kann. Vor allen Dingen gibt es dort gute Luft, und dann das gesundheitsfördernde Meerwasser! Einmal für sich entdeckt, möchte man es nicht mehr missen. Die Insulaner stellen sich recht gefällig an, sofern man sie zu nehmen weiß und ihnen genau sagt, was zu tun ist.« Sie rümpfte ein wenig die Nase. »Natürlich verfügen sie über keinerlei gesellschaftliche Talente. Zumindest die meisten von ihnen nicht. Die Einwohner pflegen ihre eigenen Sitten und Gebräuche, die sich doch sehr von unserer feinen Lebensart unterscheiden. Aber ich habe es geschafft, Kultur und vor allen Dingen eine exzellente Kochkunst auf der Insel einzubürgern.« Ihr Mund verzog sich selbstgefällig. »Alles in allem habe ich meine Entscheidung, dort zu leben - und das tue ich seit zwanzig Jahren - niemals bereut. Natürlich ist es in den Wintermonaten ein wenig trist. Von gesellschaftlichem Leben nichts zu spüren. Die Insulaner sind ja, wie schon gesagt, eher schlicht und geben nicht viel auf Theater und Gesang. Deshalb entfliehen mein Mann und ich im Winter auch immer für einige Zeit. Aber im Sommer …« Sie stieß einen genussvollen Seufzer aus. »Für die Monate Juni und Juli konnte ich in diesem Jahr ein Geigenquartett verpflichten und für den August einen Harfenmeister mit Sängerin. Mein Aufenthalt hier in Jever diente ferner dazu, verschiedene Vortragskünstler für Auftritte im Konversationshaus zu gewinnen. Zu unseren Gästen zählen Mitglieder des Oldenburger Hofes sowie andere fürstliche Persönlichkeiten. Es ist schon ein erlauchter Kreis, der Erholung und Genesung auf der Insel sucht. Und dabei soll es auch bleiben!«, schloss sie nachdrücklich,
und ihre Hand, die auf der Lehne des Sessels ruhte, ballte sich zur Faust. Dann sah sie auf. »Dafür zu sorgen ist indirekt Ihre Aufgabe, meine Liebe. Es gibt da nämlich eine kleine Disharmonie.« Sie schwieg einen Moment, dann fuhr sie zögerlich fort: »Das Problem ist unser liebenswerter Badearzt Dr. Hoffmann. Er ist ledig, und nicht alle weiblichen Gäste wissen, was sich geziemt. Von ihren Ehegatten zur Erholung in meine Hände gegeben, fühle ich mich für jede Dame verantwortlich. Aber nicht wenige dieser verheirateten Frauen machen dem Badearzt Avancen. Sie scheinen weniger die Genesung von ihrer jeweiligen Unpässlichkeit im Auge zu haben, sondern vielmehr nach Abenteuern auf der Insel Ausschau zu halten. Ein unerhörtes Benehmen, aber es gibt auch in den gehobenen Kreisen liederliche Frauenzimmer. Ich habe unserem verehrten Badearzt zu verstehen gegeben, dass wir eine Lösung für dieses Problem finden müssen. Und sofern Dr. Hoffmann die Insel nicht verlassen möchte, gibt es nur einen Weg: Es müssen Tatsachen geschaffen werden, die eine Affäre mit ihm unmöglich machen. Daher habe ich mich entschlossen«, sie
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