Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
sah Wemke fest in die Augen, »ihm eine Frau zu suchen.«
Wemke schnappte nach Luft, doch Frau Bartling hob beschwichtigend die Hände. »Bitte bleiben Sie ganz ruhig! Bei dieser Ehe handelt es sich natürlich nur um eine rein vertragliche Angelegenheit. Sie beide helfen sich sozusagen gegenseitig. Unser Badearzt wird nicht mehr belästigt, und ich gewinne eine junge, schöne und zudem verheiratete Dame, um meine Angebote zur Zerstreuung der Gäste aufzuwerten. Als Ehefrau sind Sie keine Gefahr für die zur Genesung bei uns weilenden männlichen Gäste. Ich bin es nämlich leid, in jeder Saison eine neue Anwärterin für die Schönen Künste zu suchen. In jede der Damen, die bislang für mich gearbeitet haben, hat sich ein Gast verliebt. Es gab große Tragödien!« Die Erinnerung ließ sie verzweifelt die Hände ringen. »Und mir blieb jedes
Mal der Ärger mit den verlassenen Ehefrauen oder empörten Eltern, die eine andere Partie für den Sohn vorgesehen hatten.«
In Wemkes Kopf begann es zu dröhnen. Das war also die »absolute Bindung«, von der in der Anzeige die Rede gewesen war. Was mochte das für ein Mann sein, der sich - wenn auch nur fürs Papier - eine Braut aussuchen ließ? Wahrscheinlich litt er unter Schüchternheit und konnte sich deshalb auch nicht gegen die Avancen der weiblichen Badegäste wehren. Sie stellte sich ihn als scheuen, in sich gekehrten Charakter vor. Er wäre ihr sicher sympathisch, aber das war ja noch lange kein Grund, jemanden einfach so zu heiraten. Wie stellte die Hofrätin sich das vor? Sich für solch ein Schauspiel herzugeben war doch undenkbar! Oder etwa nicht? Wemke schloss für einen Moment die Augen. Sie sah sich und Freya zusammen am Strand. Schaumgekrönte Wellen, weißer Sand - wie wundervoll wäre es, wenn ihre Schwester dort aufwachsen dürfte. Aber um welchen Preis!
»Ihr Vorschlag, ist der wirklich ernst gemeint?« Wemkes Stimme zitterte.
»Ich scherze nicht.« Frau Bartling erhob sich. »Und ich versichere Ihnen, dass Sie die einzig Richtige sind. Aber ich verstehe auch, dass Sie Ihre Entscheidung überschlafen müssen. Daher schließen wir folgende Vereinbarung: Wenn Sie die Stellung annehmen, dann erwarten Dr. Hoffmann und ich Sie in zwei Wochen auf der Insel. Hier.« Sie streckte ihr einen Umschlag entgegen. »Die Fahrkarte und etwas Geld für Ausgaben, die sicherlich anstehen werden.«
Verwirrt schüttelte Wemke den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen. Vielleicht komme ich nicht und dann …«
»Dann werden Sie das Geld beim Wirt für mich zurückgeben«, beschloss Frau Bartling bestimmt und streckte Wemke die Hand entgegen. »Doch Sie werden kommen, ich spüre es!«
Wemke erhob sich mit wackligen Beinen. »Aber was wird Dr. Hoffmann von mir halten?«
Für einen Atemzug schien die Hofrätin leicht verunsichert, doch dann fing sie sich wieder. »Er wird Sie hinreißend finden und, wie immer, meiner Entscheidung zustimmen. Wissen Sie, es ist doch so, dass die Männer letztendlich froh sind über jede Lenkung und jeden Rat«, sagte die Hofrätin leicht abfällig. »Wenn ich meinen Mann nicht auf Trab halten würde, wo wären wir dann? Ich allein habe in den letzten zwanzig Jahren dafür gesorgt, dass man sich als Gast auf Wangerooge wohlfühlen kann. Was ich damit sagen will, ist, dass Dr. Hoffmann sich selbstverständlich meinem Wunsche fügen wird.«
Wemke empfand plötzlich Mitleid mit dem unbekannten Dr. Hoffmann. Dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, einen ihr völlig Fremden einfach so zu heiraten.
Frau Bartling schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Vielleicht schreckt der Gedanke an eine Ehe mit unserem Badearzt Sie ab. Noch dazu, wo Dr. Hoffmann nicht mehr ganz jung ist. Aber Sie hätten doch irgendwann sowieso eine Ehe angestrebt, oder etwa nicht?«
Wemke nickte. »Irgendwann, vielleicht, aber noch nicht so bald. Und vor allem nicht mit jemandem, der mir völlig fremd ist.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie alt ist Dr. Hoffmann überhaupt? Ich weiß ja nicht einmal, was er für ein Mensch ist.«
»Dr. Hoffmann ist Mitte vierzig und der beste Mensch, den Sie in Ihrer Lage überhaupt finden können. Was glauben Sie, welcher Mann würde die Last einer Verwandten wie Ihrer Schwester auf sich nehmen? Männer sind eigennützige Wesen, mein Kind. Nicht einmal der Liebe wegen würden sie auf ihre Bequemlichkeit verzichten. Ich stelle Sie mir in einigen Jahren vor. Verbittert, einsam und durch all die Anstrengung vorzeitig gealtert. Da
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