Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
wird immer die große Verantwortung für
die Schwester sein und die Sorge um das nötige Geld zum Leben.«
    »Das ist gemein«, stammelte Wemke.
    »Aber die Wahrheit«, sagte die Hofrätin ungerührt. »Sie würden gut daran tun, meinen Vorschlag anzunehmen. Überlegen Sie es sich. Mein Angebot würde Ihnen finanzielle Unabhängigkeit sichern.« Wemke erkannte die Berechnung im Blick der Hofrätin. »Ihr Verdienst geht natürlich direkt an Sie und nicht an Dr. Hoffmann. Da es auf der Insel kaum Möglichkeiten gibt, Geld auszugeben - die Mahlzeiten werden Ihnen selbstverständlich gestellt -, käme in wenigen Jahren ein hübsches Sümmchen zusammen. Und für Ihre Schwester, da lässt sich auch was machen. Es gibt Personal bei uns, das sich den ganzen Tag um die Kinder und Säuglinge von Patienten kümmert, und natürlich auch um zurückgebliebene Angehörige.« Sie sah Wemke mitfühlend an.
    Diese zuckte zusammen. Zurückgebliebene Angehörige? Sie wollte das Missverständnis aufklären und setzte an mit: »Es ist nicht so, wie Sie denken …«, doch Frau Bartling schnitt ihr das Wort ab.
    »Sie müssen sich doch dafür nicht schämen, meine Liebe. Und falls Sie sich um das Wohlergehen Ihrer Schwester sorgen, kann ich Ihnen versichern, dass unser Personal wirklich ausgezeichnet geschult ist. Es gibt für uns also keinen Grund, sich länger bei diesem wenig erfreulichen Thema aufzuhalten. So, und nun gehen Sie nach Hause und denken in Ruhe über alles nach. Aber behalten Sie im Kopf, dass es für Sie wirklich nur Vorteile hätte.«
    Für die Hofrätin war das Gespräch damit ganz offensichtlich beendet. Sie trat zur Tür und verabschiedete Wemke. Diese wusste später nicht mehr zu sagen, wie sie den Weg zurück in ihre Wohnung gefunden hatte. Niemals in ihrem Leben war sie verwirrter gewesen. Ganz fest umklammerte sie den Umschlag
mit der Fahrkarte und dem Geld, und ihre Füße bewegten sich wie von selbst voran, während in ihrem Kopf tausend Gedanken kreisten. Die Hofrätin hatte ihr Angst gemacht mit ihrem gnadenlosen Entwurf von der Zukunft. Und dann war da natürlich noch die gegenwärtige Situation. Würde es ihr gelingen, eine neue Wohnung für sich und Freya zu finden? Seit fast einem Jahr lebten sie schon von der Hand in den Mund. Wie lange könnte sie dieses Dasein noch ertragen? Wenn Freya älter wäre und Wünsche äußerte, würde sie keinen davon erfüllen können. Und irgendwann einmal würde die Schwester sie nicht mehr brauchen, und dann bliebe ihr nur die Einsamkeit. Wäre es nicht Dummheit, den Vorschlag der Hofrätin abzulehnen? Die Vorstellung, einen völlig Fremden zu heiraten, machte ihr Angst und beschämte sie, aber andererseits war Dr. Hoffmann Arzt und somit ein gebildeter und sicher hochanständiger Mann. Niemals wieder im Leben würde sich ihr eine solche Chance bieten. Was wäre es für eine Erleichterung, die finanziellen Sorgen ablegen zu können. Und was für ein Genuss, wieder mit anderen Menschen malen und singen zu dürfen. Sie hätten ein sicheres Dach über dem Kopf, und nie wieder müsste sie Angst haben, ihre geliebte Schwester zu verlieren. Wenn sie dafür den Badearzt in Kauf nehmen musste, dann würde sie das Opfer eben bringen. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Außerdem bestünde die Ehe ja nur auf dem Papier.
    Es gab eigentlich nichts mehr zu überlegen. Erleichterung durchströmte Wemke. Ihre Entscheidung war gefallen.

3
    G emächlich floss die Weser durch den winzigen Ort mit den alten Häusern, der langsam zum Leben erwachte. Hähne schrien, Vorhänge wurden zur Seite geschoben und die erste Kutsche des Tages holperte über die Straße. Die Morgensonne überzog den Fluss mit silbrigem Glanz und ließ die rötlichen Mauersteine des alten Herrschaftshauses an seinem Ufer leuchten. Ein trotz des sich ankündigenden Frühlings dick vermummter Spaziergänger versuchte neugierig über die große Hecke zu spähen, die das Grundstück säumte. Doch Bäume und Büsche verbargen geschickt das Haus und den Garten.
    Viele beneideten Thomas Hanken, den erfolgreichen Arzt, um sein Gut und Geld. Doch es gab nur wenige, die ihn wirklich kannten. Sein Fleiß und sein Können hatten es ihm ermöglicht, sich hier niederzulassen. Ihn selbst hatte der Reichtum nicht verändert. Tag für Tag ließ er sich vom Kutscher nach Bremen fahren, um für seine Patienten da zu sein.
    Doch jetzt, an diesem Sonntagmorgen, saß er auf der einfachen, harten Gartenbank vor dem Haus. Die Schuhe an seinen

Weitere Kostenlose Bücher