Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
der Küche und goss ihnen Tee ein. »Ich hoffe, alles ist zur Zufriedenheit?«
»Wunderbar, meine Liebe.« Dr. Hanken sah sie dankbar an.
»Gut, dann wünsche ich einen gesegneten Appetit.« Mit einem Nicken verschwand Hilde wieder. Als sie schwungvoll die Tür hinter sich zuzog, wehte der Duft von Zitrone zu ihnen herüber.
»Bist du eigentlich glücklich, Jeels?«, fragte der Ältere seinen Sohn unvermittelt.
Eine Weile schwieg der Jüngere. Er suchte offenbar nach Worten.
»Mir ist nicht ganz klar, was Glück ist, Vater«, antwortete er schließlich. »Aber ich bin zufrieden und könnte mir keinen
Platz auf der Welt vorstellen, an dem ich lieber wäre, und keinen Beruf, der mir mehr Erfüllung schenken könnte. Ich fühle mich einfach wohl hier, bei dir und Hilde und bei meiner Arbeit in der Praxis.«
»Und du vermisst nichts?«, hakte Thomas Hanken vorsichtig nach.
»Wenn es dir um eine Partnerin für mich geht, so mach dir keine Sorgen. Ich habe noch keine gefunden, die ich mir für ein ganzes Leben an meiner Seite vorstellen könnte. Und sollte ich mich irgendwann doch mit dem Gedanken tragen, dann stellt sich immer noch die Frage, ob der Auserwählten meine rote Wolle gefällt.« Jeels griff sich mit einer Hand ins Haar und verzog mit einem übertriebenen Seufzer das Gesicht.
»Liebe hat nichts mit dem Aussehen eines Menschen zu tun«, sagte sein Vater und lächelte ihn an.
»Das stimmt wohl«, gab Jeels zu. »Aber manchmal verwünsche ich diese Farbe auf meinem Kopf schon, und dann noch die Sommersprossen.«
»In Wahrheit weißt du recht gut, dass du mit deinem Aussehen zufrieden sein kannst. Wie war das noch im letzten Jahr mit der jungen Frau, die ständig bei uns an die Haustür klopfte?«, bemerkte Thomas Hanken mit einem Augenzwinkern.
Jeels errötete ein wenig. »Brigitta war wirklich lieb, und ich mochte sie auch sehr gern, doch wir hatten einfach keinerlei Gemeinsamkeiten. Das hat sich, wie du weißt, sehr schnell herausgestellt.«
»Sie sah aus wie ein Engel«, schwärmte Dr. Hanken.
»Ja, das ist wahr«, sagte Jeels. »Aber wie du schon sagtest: Gutes Aussehen hat mit Liebe noch nichts zu tun.« Seine Augen ruhten forschend auf dem Gesicht des Vaters. »Warum fragst du, ob ich etwas vermisse? Quält dich der Gedanke, dass ich ohne leibliche Eltern aufgewachsen bin? Es gibt niemanden,
der sie besser hätte ersetzen können als du. Du bist der beste Vater, den ein Kind sich wünschen kann.«
Jeels stand auf, umrundete den Tisch und schloss seinen Vater in die Arme.
Die Augen wurden dem Älteren feucht, doch er fing sich wieder.
»Dann ist ja alles gut«, sagte er, und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Nur seine Hand zitterte noch ein wenig, als er nach der Tasse Tee griff. »Und Jeels, heute Abend werden wir uns zu einem langen Gespräch zusammensetzen. Ich habe dir viel zu erzählen. Wer weiß«, er wandte den Blick ab, »vielleicht entschließe ich mich von heute auf morgen, mich aufs Altenteil zurückzuziehen, um das Leben zu genießen.« Dies sagte er leichthin, doch in Gedanken fügte er hinzu: »Für die kurze Zeit, die mir noch bleibt.«
4
J eels hatte sich entschlossen, den freien Sonntag für eine lange Wanderung entlang der Weser zu nutzen. Benno begleitete ihn. Thomas Hanken war insgeheim froh, dass er für eine Weile alleine sein konnte. Es fiel ihm immer schwerer, die Schmerzen zu verbergen. Er zog sich in seine Räumlichkeiten zurück, schaute aus dem Fenster und sah Jeels nach, der mit einem Pfiff nach dem Hund von dannen zog.
Mit wie viel Stolz ihn der Sohn erfüllte! Unendlich lange schien es her zu sein, dass er mit diesem winzigen Wesen von der Insel gekommen war. Jeels hatte sein Leben völlig umgekrempelt. Ein gebrochener Mann war er gewesen, bevor das Kind ihn wieder zurück auf den Boden brachte. Damals hatte es auf Messers Schneide gestanden: Entweder hätte ihn der Alkohol zerstört oder die Trauer über den Tod der Schwester.
Sie war durch seinen Leichtsinn gestorben, so empfand er es zumindest, und diese Schuld lastete bis heute schwer auf ihm. Elise war verwitwet und hochschwanger zu ihm gekommen, um »in guten Händen« zu sein, wie sie es ausgedrückt hatte. Ein verächtliches Schnaufen entfuhr ihm, und er biss sich auf die Lippen. In guten Händen!
Er war auch damals schon kein schlechter Arzt gewesen, aber ein großer Egoist. In der Nähe von Köln betrieb er eine gutgehende Praxis. Zuvor hatte er eine Zeit lang in einem
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