Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Niemand schrie: »Fass mich nicht an!«, wenn der Knecht des Sünnerklaas seine Hände zum Einsatz brachte oder die Maske anhob und einen Kuss forderte. Rasend vor Wut schwor Wiltert bittere Rache.
Doch zunächst einmal tauchte er in der Gaststube der Eltern unter. Es herrschte noch reger Betrieb, und das bewahrte ihn davor, auch noch dem Vater Rede und Antwort stehen und dessen Vorwürfe über sich ergehen lassen zu müssen. Wiltert verzog sich in seine Kammer und schloss mit einem Knall die Tür hinter sich.
Wenn dieser rothaarige Teufel nicht gewesen wäre, dann hätte der Abend einen anderen Ausgang genommen! Dieser verdammte Jeels van Voss trug die Schuld daran, dass alles so gekommen und er leer ausgegangen war. Wilterts Hass auf ihn wuchs ins Unermessliche.
28
I n der Nacht erwachte Jeels von einem Geräusch, das er zuerst nicht zuordnen konnte. Er schob es auf den Wind, der sich scheinbar bemühte, wieder Sturmstärke zu erreichen, doch dann spürte er eine unerklärliche Furcht in sich aufsteigen. Vielleicht war es die Macht des Mondes, der durch das Fenster leuchtete und ihn schon seit Tagen in Unruhe versetzte. Es rauschte in seinen Ohren und er fühlte, wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte. Da stimmte doch was nicht! Und dann hörte er das Geräusch wieder. Lauter noch als das Heulen des Windes und das Rauschen des Meeres.
Er setzte sich auf und horchte. Seine Sinne waren jetzt hellwach. Benno! Der Hund schlug an. Jeels schob rasch die Vorhänge des Alkovens zur Seite und sprang aus dem Bett. In Windeseile zog er sich an, warf eine Jacke über und stürzte zur Tür, wo er fast mit Krischan zusammenstieß.
»Der Benno ist kein Dummer. Wenn der jault, dann gibt es auch einen Grund«, rief dieser ihm entgegen.
Sie stolperten nach draußen. Benno sauste mit gefletschten Zähnen an ihnen vorbei. Sofort roch Jeels den Qualm und nahm nun auch das Heulen der Tiere in der Scheune wahr. Sein Gesicht wurde aschfahl. Fassungslos starrte Jeels in die gelblichroten Rauchschwaden, die vom Dach des Stalls aus in die Höhe gewirbelt wurden. Ein Feuer hatte das obere Stockwerk erfasst. Das Nebengebäude brannte lichterloh!
Derweil hatte Wiltert, entgegen seinem eigentlichen Plan, das Weite gesucht. Er fluchte vor sich hin. Dieser verdammte Köter! Alles war verdorben durch sein Geheul. Mit seinem Gekläffe hatte das Mistvieh womöglich die Männer geweckt. Da war es besser gewesen zu verschwinden. Zu schade!
Er wäre so gerne an Ort und Stelle gewesen, um zu sehen, wie Stall und Kate in Flammen aufgingen und wie Jeels van Voss bei lebendigem Leibe verbrannte! Jetzt waren dieser Rotfuchs und Krischan natürlich gewarnt. Vielleicht würden sie den Brand sogar noch rechtzeitig löschen können.
Wiltert knirschte vor Wut mit den Zähnen. Alles, was er gegen diesen Kerl unternahm, misslang. Selbst den Verdacht, der Brandstifter zu sein, hatte Jeels van Voss abschütteln können. Nun, die anderen Insulaner mochten sich von ihm narren lassen, aber er nicht! Mit seinem Arztkoffer und Tedamöh auf den Fersen hatte dieser Fremde sie alle eingewickelt. Ihm war gelungen, was seine Vorfahren nicht geschafft hatten. Wie leichtgläubig die anderen waren! Alle van Voss hatten Unglück über die Insel gebracht! Mit ihren Zauberkräften frevelten sie gegen die gottgegebene Ordnung. Wäre doch nur wieder ein rechtschaffener Kirchenmann hier, der das erkannte und diese Teufel bekämpfte. Doch der neue Prediger machte ja sogar noch mit bei den alten heidnischen Bräuchen. Der alte Pastor würde sich im Grab umdrehen, wenn er von alldem wüsste. Unter ihm wäre es nie so weit gekommen!
Wiltert schritt den Weg zum Dorf hinunter. Im Mondlicht lagen die Dünen geisterhaft weiß vor ihm. Die dünne Schneedecke verstärkte noch die Helligkeit. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, doch der Laut drang nicht in sein Bewusstsein. Im Inneren hörte er eine Stimme, die alle anderen Geräusche übertönte. Sie gehörte dem alten Inselpastor, dem Mann, der seine Kindheit geprägt hatte. Der Brandstifter zuckte zusammen. Diese Stimme erreichte ihn sonst nur in
seinen dunkelsten Träumen. Hart und unerbittlich dröhnten die Worte des Kirchenmannes in seinem Kopf.
»Jeder Mensch auf Erden hat eine Aufgabe, und meine ist es, diesen Teufeln den Garaus zu machen. Die van Voss sind ein Fluch, der meinem Blut gesandt wurde. Ich und die Meinen werden nur Ruhe finden, wenn diese teuflische Saat ausgemerzt ist.« Fast vermeinte Wiltert, die
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