Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
der Unruhe um ihn herum wenig mit. Er spürte wieder diese unbändige Wut in sich aufsteigen, mit der er schon einmal Wiltert gegenübergetreten war. Mit fast unmenschlicher Anstrengung gelang es ihm, ruhig zu bleiben.
»Benno, bei Fuß«, sagte er bestimmt, und mehr brauchte es nicht, um den zähnefletschenden Schäferhund von der Stelle zu bewegen.
Jeels tätschelte ihm liebevoll den Kopf. »Gut gemacht!«
Der Hund drängte sich eng an Jeels und begann, seine Wunde zu lecken, die zum Glück nicht tief zu sein schien.
Jeels kämpfte immer noch mit der Wut in seinem Herzen. Bewusst entfernte er sich ein Stück von der Menge. Er fühlte sich ausgelaugt und leer. Zu viel war geschehen in dieser Nacht. Nachdenklich schaute er zu den Sternen auf. Was trieb einen Menschen dazu, anderen den Tod zu wünschen? Welcher Zorn wütete in Wilterts Herz? Gab es eine Möglichkeit, ihm zu helfen? Wollte er überhaupt, dass diesem Kerl geholfen wurde? Im Augenblick würde er ihn mit Vergnügen erwürgen! Seine Augen suchten den Himmel nach Antworten ab. Die Sterne starrten zurück. Kalt, fast schon feindselig. Konnte es möglich sein, dass Gott dort oben in dieser Kälte wohnte? Als Kind hatte er sich den Himmel anders vorgestellt. Hell, warm und gold geschmückt. Doch im wahren Leben würde die Kälte dort oben manches erklären. Zumindest, dass ein Mensch so werden konnte wie Wiltert.
Dieser ließ sich vor Schmerzen stöhnend und ohne Widerspruch vom Vogt abführen. Er schien erleichtert, den scharfen Zähnen des Hundes entkommen zu sein. Im Triumphzug folgte die Menge ihnen.
Der Inselvogt waltete in dieser Nacht seines Amtes nicht gerne. Das merkte man ihm an.
»Du hast schwere Verbrechen begannen, über die der Richter urteilen muss«, sagte er mit tonloser Stimme zu Wiltert. »Sobald es möglich ist, werde ich dich zum Festland fahren lassen. Bis dahin wirst du im Turm bleiben müssen.«
Als Wiltert hörte, was mit ihm geschehen sollte, schrie er Zeter und Mordio. Es schien, als habe er völlig den Verstand verloren.
»Ich soll eingesperrt werden?« Seine Stimme überschlug sich fast. »Ihn musst du festsetzen!« Er wies anklagend auf Jeels. Dann wandte er sich zu den anderen um. »Begreift ihr denn nicht, dass er Böses über uns alle bringt? Wer hat die Fluten gelockt? Wer hat die Krankheiten auf die Insel gebracht? Alles Unglück kommt von ihm!«
»Von ihm?«, ereiferte sich der Bäcker. »Ja wer hat denn die Feuer gelegt und Mensch und Tier in tödliche Gefahr gebracht? Sollen wir dir etwa auch noch auf die Schulter klopfen und dankbar sein? Meinst du nicht, dass die meisten von uns dich am liebsten ins Meer werfen würden? Ich bedauere nur deine armen Eltern!«
Im Dorf angekommen, schickte der Vogt die Insulaner nach Hause. Einzig Jeels blieb bei ihm, als er sich mit Wiltert auf den Weg zum Gasthof machte. So sehr es Jeels auch widerstrebte, er musste sich überwinden und Wilterts Wunde versorgen. Als Arzt war das seine Pflicht. Um sich den Umweg zur Kate zu sparen, würde er an der Vogtei haltmachen. Dort gab es Verbandsmaterial, das er verwenden konnte.
Krischan war bereits zur Kate zurückgekehrt, um noch in der Nacht die Tiere zu Tedamöh zu bringen. Jeels würde später zu ihm stoßen. Diese Nacht taugte ohnehin nicht mehr zum Schlafen. Und morgen war Weihnachten! Jeels rieb sich mit der Hand die schmerzende Stirn.
Dem Inselvogt schmerzte der Kopf sicher kaum weniger als Jeels. Ihm fiel das bittere Los zu, Wilterts Eltern über den Brand und seine Ursache aufzuklären. Er tat sich nicht leicht damit, dem schockierten Gastwirt und seiner Frau gegenüberzutreten. Aber schließlich war alles gesagt. Am Verhalten der Wirtin erkannte Jeels, dass zumindest diese etwas geahnt haben musste. Sie schlug einfach nur die Hände vor das Gesicht und weinte. Dem Wirt dagegen stand das Entsetzen ins Antlitz geschrieben.
»Das kann doch nicht wahr sein«, rief er fassungslos. »Wiltert, sag, dass es nicht stimmt!«
Doch Wiltert blieb stumm. Der Wirt wandte sich an den Vogt. »Ich bitte dich, das muss alles ein furchtbarer Irrtum sein.«
»Dein Sohn ist ohne Zweifel der Täter. Ich habe es dir ja schon erklärt«, seufzte der Vogt mit schmerzlich verzogenem Gesicht. »Wir müssen ihn dem Richter übergeben. Und bis dahin werde ich Wiltert im Turm festhalten.« Jetzt war seine Stimme ganz amtlich.
»Bitte lass meinen Sohn zumindest bis zur Verhandlung hier bei uns bleiben. Ich werde achtgeben, dass nichts
Weitere Kostenlose Bücher