Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Gedanken rasten. Sie würde ihm sagen, dass sie fort musste. Würde ihn vertrösten auf später. Für Erklärungen blieb jetzt keine Zeit.
»Gerade wollte ich …«
»Du willst ins Dorf, das kann ich mir denken. Ich komme mit!« Seine müden Augen leuchteten entschlossen auf. »Wer weiß, was geschehen ist. Vielleicht können wir helfen. Aber alleine werde ich es nicht einmal schaffen, mich anzuziehen.« Seine Stimme klang verbittert. »Ich bin es so leid, auf Hilfe angewiesen zu sein. Was ist es nur, das mich so schwächt? Verdammt!«
Wemke zuckte zusammen. Sie hatte Konrad noch nie fluchen gehört.
Er ballte die Fäuste. »Wie kann ein Mensch nur über Wochen hinweg so müde sein? Als ob ich nicht längst des Schlafes und der Ruhe um mich herum überdrüssig wäre.«
Wemke spürte wieder die Ungeduld in sich aufsteigen. Sie fühlte sich hin- und hergerissen. Es blieb ihr nicht die Zeit für Konrads Verzweiflung. Alles in ihr strebte fort. Sie musste gehen, jetzt gleich. Nicht ins Dorf, sondern zu Jeels’ Kate. Und doch schienen eiserne Ketten sie hier festzuhalten. Sie konnte diesen Mann nicht einfach im Stich lassen.
Mit aller Kraft konzentrierte sie sich darauf, Konrad zu antworten. »Es ist ja nicht nur die Müdigkeit, die dich schwächt. Du bist immer noch nicht ganz gesund, nicht fieberfrei. Irgendetwas steckt noch in deinem Körper und quält dich. Du musst Geduld haben. Und vor allem solltest du besser im Bett bleiben.« Wie ruhig ihre Stimme klang. Dabei bebte sie innerlich. Wemke schloss für einen Moment die Augen und betete, dass er es einsehen würde.
»Nein! Ich will nicht länger wie ein nutzloser Greis hier im Bett ausharren. Du wirst mir helfen, und ich werde die Zähne zusammenbeißen und ins Dorf gehen.« Noch nie hatte Wemke ihn so reden hören. Tränen glitzerten in seinen Augen.
»Entschuldige, meine Liebe.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Was mute ich dir zu. Fluche über meine Lage, als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Aber du verstehst mich, nicht wahr?«
Wemke nickte. Sie wünschte, Konrad würde nicht gerade jetzt versuchen, sich gegen die Schwäche aufzulehnen. Doch er stand entschlossen vor ihr, um sich sogleich wankend wieder in einen Stuhl fallen zu lassen.
»Bitte hilf mir.« Seine Stimme bebte vor unterdrückter Verzweiflung. »Geh und wecke schon mal Hubert. Er soll uns begleiten. Und vielleicht Gerlind, damit sie auf Freya aufpassen kann. Und dann werden wir sehen, ob es etwas für mich zu tun gibt.«
Wemke wollte verzweifelt »Nein!« schreien. Stattdessen stieß sie einen tiefen Seufzer aus und tat, worum Konrad sie gebeten hatte.
Es dauerte lange, bevor der Badearzt in der Lage war, das Haus zu verlassen. Wemke fühlte sich fiebrig. Die Angst um Jeels ließ sie nicht mehr klar denken. Jeder Handgriff, jedes Wort entsprangen der Gewohnheit, ansonsten hätte sie nichts davon bewältigen können. Den Bediensteten Anweisungen erteilen, Gerlind rufen, Konrad stützen. All das tat Wemke ganz selbstverständlich, doch in ihrem Inneren war sie längst ganz woanders. Und ihr Kopf sang nur einen Namen: Jeels, Jeels, Jeels. Als könnte sie ihre Gedanken schon vorausschicken.
Kalte Luft schlug ihnen entgegen, als sie das Badehaus verließen. Der Mond hüllte alles in ein fahles Grau. Der Frost ließ Wemke bald jegliches Gefühl in den Händen verlieren. Ihr Körper schien zu Eis erstarrt, die Kleider boten keinen Schutz mehr, sondern waren nur eine kalte Hülle. Die Luft legte Haar und Haut einen feinen Mantel aus Salzkristallen an. Aber Wemke empfand die Gefühllosigkeit ihres Körpers in diesem Moment als Geschenk.
Das Horn war längst verstummt. Brandgeruch lag noch in der Luft, doch kein Feuer war mehr zu sehen. Der Brand schien gelöscht, doch wo war Jeels?
»Zur Kirche. In Unglücksfällen versammelt sich alles dort«, keuchte Konrad, der von Hubert gestützt wurde.
Doch beim Turm trafen sie nur auf den Inselvogt »Es ist keiner verletzt«, rief er ihnen entgegen und erzählte in wenigen Worten, was geschehen war. »Die Insulaner liegen sicherlich schon in ihren Nestern. Jeels wird gleich wieder hier sein. Er ist zur Kate zurück, um seinen Arztkoffer zu holen. Dieser Schweinehund da drinnen ist verwundet, und Jeels hat versprochen, ihn zu verarzten. Man kann ja selbst den Teufel nicht verbluten lassen.«
Wemke stand ganz still. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Jeels ging es gut. Er war mit dem Leben davongekommen. Für einen
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