Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Unverschämtheit ist es, sich als gefallenes Mädchen diese Stellung erschleichen zu wollen. Aber nicht mit mir!«
»Und mit mir schon gar nicht!« Der korrekt gekleidete Mann an ihrer Seite hieb mit seinem Spazierstock dreimal auf den Boden. Er beugte sich zur Hofrätin vor und sagte leise: »Ich werde mich doch nicht mit einer gebrauchten Braut vermählen lassen!« In seine Augen trat ein triumphierender Ausdruck. »Nicht einmal von Ihnen, sehr verehrte Frau Hofrätin. Na, da haben Sie sich mit Ihrer Menschenkenntnis ja wohl zum ersten Mal im Leben getäuscht.« Er setzte seinen seidenen Hut auf und wandte sich zum Gehen. »Ich habe nicht um eine
Braut gebeten. Und anerkannt hätte ich bestenfalls eine Dame mit einem einwandfreien Leumund. Ich lasse mir doch keinen Kuckuck ins Nest legen. Es tut mir leid, aber Sie müssen verstehen, dass ich unter diesen Umständen nicht gewillt bin, mich an Ihrem Spielchen zu beteiligen.«
»Lieber Dr. Hoffmann. Sie brauchen sich selbstverständlich mit diesem Geschöpf nicht abzugeben«, schnurrte die Hofrätin entschuldigend. »Ich werde sie sofort wieder zurückschicken, uns aus den Augen. Ach, wie bedauerlich das alles ist. Diese Enttäuschung!«
Die Hofrätin streckte dem Badearzt bittend beide Hände entgegen, dieser wandte sich jedoch abrupt um und stolzierte davon.
»Finchen, nun erreg dich doch nicht gleich so!«, versuchte ihr Gatte sie zu beruhigen. »Vielleicht klärt sich noch alles auf.« Beschwichtigend griff er nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm.
»Nichts klärt sich!«, sagte sie entschieden. »Und was Sie angeht«, die Hofrätin sah Wemke an, als hätte sie eine ansteckende Krankheit, »so hat unsere Vereinbarung natürlich keine Gültigkeit mehr. Für ledige Mütter gibt es bei mir keine Arbeit. Die männlichen Badegäste würden Sie doch nur als Freiwild betrachten, und vor derlei Gedanken gilt es die Herren zu schützen. Solches dulde ich in meinem Badebetrieb nicht! Der Dampfer wird sie wieder mit zurücknehmen.«
Wemke fühlte ein Zittern in sich aufsteigen. War ihr vor kurzem noch heiß gewesen, so breitete sich nun eine Eiseskälte in ihr aus. Wie zum Schutz presste sie Freya ganz fest an sich. Das Kind begann daraufhin zu weinen.
»Ich kann nicht wieder zurück«, sagte sie mühsam die Tränen zurückdrängend. »Ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen. Bitte, es ist alles ein Missverständnis! Lassen Sie es mich aufklären«, flehte sie.
Die Hofrätin schnaubte empört und wandte sich zum Gehen.
Wemke schloss für einen Atemzug die Augen. Was geschah hier eigentlich? Was unterstellte man ihr? Sie hatte nichts verbrochen, nicht einmal gelogen. Musste sie sich das gefallen lassen? Was erlaubte sich die Hofrätin eigentlich? Wut stieg in ihr auf und brachte die Tränen zum Versiegen. Sie würde sich diese Beleidigungen nicht länger anhören. Wenn sie nur zurück nach Jever könnte! Aber das Geld für die Rückfahrt hatte sie nicht.
»Also gut, ich werde wieder abreisen«, sagte sie schließlich gefasst. »Wenn Sie so von mir denken, dann kann ich sowieso nicht bleiben. Aber ich muss mir das Geld für die Rückfahrt verdienen. Bitte geben Sie mir wenigstens Arbeit. Das sind Sie mir schuldig. Ich werde mir auch für nichts zu schade sein.«
»Ich soll Ihnen etwas schuldig sein?« Die Stimme der Hofrätin überschlug sich fast. »Na, das wird ja immer schöner. Von mir bekommen Sie keinen Lohn. Wer mich hintergeht, dem werfe ich nicht auch noch Perlen hinterher. Sie werden auf der ganzen Insel weder Arbeit noch Unterkommen finden, dafür sorge ich.« Sie wandte sich den umstehenden Insulanern zu. »Habt ihr das gehört? Ich verbiete euch, diesem Frauenzimmer Kost und Logis zu gewähren.«
Sie wandte sich wieder Wemke zu, und ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Züge. »So! Das wäre geklärt. Und nun gehen Sie mir aus den Augen, aber schnell!«
»Bitte!« Das Wort kam nur noch als ein Flüstern über Wemkes Lippen. Das Verhalten der Hofrätin hatte sie wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Diese Dame hatte offenbar das Sagen über sämtliche Inselbewohner. Was sollte sie nur tun, wenn sie sich nicht erweichen ließe?
Plötzlich nahm sie eine Regung hinter sich wahr. Der Mann mit dem roten Haar bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Sein hünenhafter Begleiter folgte ihm auf dem Fuße. Beide trugen einfache Kleidung, aber Wemke erkannte sofort, wer von ihnen das Sagen hatte. Der Kleinere strahlte eine Größe aus, die nichts
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