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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christel Mouchard
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Nina besorgt ansah, schien sich verschiedene Fragen zu stellen.
    »Meine liebe Nina«, sprach sie weiter, »ich möchte ganz offen mit Ihnen sprechen, wie ich es mit Ihrem Vater konnte.«
    »Wenn Sie das Vertrauen meines Vaters hatten, haben Sie auch meins«, antwortete Nina so feierlich wie möglich.
    Die Königin blickte weiter auf Ninas Hände, die sie in den ihren hielt. Nina fürchtete, dass sie ihre angeknabberten Nägel sähe, und zog sie sanft weg. Doch die Königin beachtete es überhaupt nicht. »Sie müssen wissen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »dass die Franzosen in Hué nicht meine Freunde sind.«
    »Aber ich bin Französin. Und ich wäre gern Ihre Freundin«, protestierte Nina lebhaft.
    »Ich danke Ihnen. Aber davon spreche ich nicht, ich meine den Generalgouverneur, Frankreich als Land. Verstehen Sie mich?«
    »Ja«, log Nina und hoffte, dass sich alles Weitere noch klären würde.
    »Ich bemühe mich, dafür zu sorgen, dass Annam wieder ein unabhängiges Land wird. Deshalb lässt mich der Generalgouverneur überwachen, und die Mandarine auch.«
    »Denn die Mandarine sind dem Generalgouverneur wohlgesinnt«, ergänzte Tam.
    »Wie meinen Sie dieses: ›Ich bemühe mich‹? Was bedeutet das?«, fragte Nina.
    »Ich versuche, so viele Menschen wie möglich zusammenzubringen, die so denken wie ich, und sie davon zu überzeugen, zu handeln. Anders gesagt: Mein Ziel ist, einen Aufstand zu organisieren, zu den Waffen zu greifen und die Franzosen aus Annam zu verjagen.«
    Von dem Ernst der vertraulichen Mitteilung wie gelähmt, wagten Tam und Nina weder zu sprechen noch sich zu rühren.
    Nina wurde bewusst, dass sie in dieses Land gereist war, ohne sich jemals wirklich für die politischen Hintergründe interessiert zu haben. Was geschah hier? Von einem Moment auf den anderen wurde sie damit konfrontiert, dass sie nicht nur einfach in irgendein Land gereist war, in dem zufällig ihr Vater lebte. Viele Franzosen lebten hier, fern ihrer Heimat. Aber hatte sie sich jemals gefragt, wie es ihr damit gehen würde, wenn Hunderte, ja Tausende Annamiten in Frankreich leben würden? Und wenn sie versuchen würden, die Regierung zu übernehmen?
    Und jetzt saß sie bei einer Tasse neben der Mutter des Kaisers und wurde in die vertraulichsten Staatsgeheimnisse eingeweiht!
    Ein Aufstand! Mit anderen Worten: Krieg! Die Annamiten und die Franzosen würden sich in den Straßen von Hué gegenseitig töten! Für Nina bedeutete das, dass sie fliehen müsste, dass es in diesem Land, in dem sie hoffte, ein neues Leben beginnen zu können, keinen Platz mehr für sie gäbe.
    Und Tam?
    Für sie würde es das Ende der Schulzeit bedeuten. Und was würde danach geschehen? Sie würde ihr Leben lang die Tochter von Bediensteten bleiben, ohne Zukunft! Sie schluckte und fand den Mut, ängstlich zu fragen:
    »Majestät, gibt es denn keinen anderen Weg für Annam, frei zu bleiben?«
    Die Königin Phuong sah Tam an, als sähe sie sie in diesem Moment zum ersten Mal. Natürlich, sie war es nicht gewohnt, von einer Untergebenen ausgefragt zu werden, wurde Tam klar.
    Die Königin aber dachte nach. Sie wusste, dass eine Revolution für die Familie der jungen Schülerin eine Katastrophe wäre. Wie sollte sie ihr in wenigen und einfachen Worten antworten?
    Plötzlich erhob sie sich.
    Ohne dass ein Wort gesprochen wurde, folgten die beiden Mädchen ihr in den hinteren Teil des Pavillons, in dem es eine Art abgeschirmten Raum gab. Die Königin legte einen Finger auf die Lippen und berührte mit der anderen Hand vorsichtig eine der Wände, die sich geräuschlos bewegte. Dahinter erschienen die Falten eines von der Decke bis zum Boden fallenden Moskitonetzes, das wie ein Gazezelt einen dampfenden Kokon bildete. Eine Fülle von Kissen und weißen Leintüchern war zu erkennen. Zwischen ihnen lag in einem einfachen Pyjama ein schlafender Junge. Seine Lippen waren halb geöffnet und er drückte eine Stoffkatze mit großen gestickten Barthaaren an sich.
    »Der Kaiser von Annam«, murmelte die Königin gerührt.
    ›Wie friedlich er aussieht‹, dachte Nina.
    »Ähneln sich nicht alle Kinder der Welt?«, sagte sie vorsichtig.
    »Mein Sohn ist Kaiser«, antwortete die Königin. »Er wird nie ein Kind wie alle anderen sein.«
    Sie wich ein paar Schritte zurück und sprach sanfter weiter.
    »Es war nicht mein Wunsch, dass Duy Tân den Thron bestieg. Er hätte auch nicht Kaiser werden sollen, da er mehrere ältere Brüder hatte – die Söhne einer anderen

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