Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Aber ein Versuch konnte nicht schaden, zumal ihm in dieser Situation gar nichts anderes übrigblieb. Er bündelte das zerfließende Gewebe seines Geistes, streckte die weichen, wie aus Watte bestehenden Arme vor und sagte genau in dem Moment, als der Gegner zum Vorstoß ansetzte, das magische Wort »Tien«, was geistige Kraft bedeutete (denn auf die körperliche war nicht zu hoffen).
    Es wirkte!
    Der Mann in Schwarz benahm sich wie eine vom Faden abgerissene Marionette: Er klatschte in die Hände, ein Bein schnellte sonderbarerweise nach vorn, das andere nach oben, und schon schlug er mit dem Hinterkopf so hart auf die Pflastersteine, dass es widerlich knirschte.
    Da begriff Fandorin, dass es das alles gar nicht gab – den Raub der Kette, die Verfolgung des Alten, den phantastischen Zusammenstoß im dunklen Hof. Das waren nur Trugbilder im Opiumrausch.Gleich würden sich die Halluzinationen verflüchtigen, und er würde wieder im Halbdunkel sitzen, umgeben von grauem Rauch und den unbeweglichen Silhouetten der Raucher.
    Er schüttelte den Kopf, um schneller zu sich zu kommen, aber es half nicht.
    Statt dessen kam Makar Nebaba zu sich, und auch Masa regte sich – er griff sich ans blessierte Kinn und sagte ein paar unschöne Wörter auf japanisch und auf russisch. Doch als erster berappelte sich der Polizist. Er setzte sich stöhnend auf, rieb sich das Genick und fragte heiser: »Womit hat er mich? Mit dem Beilrücken?«
    »Mit der Handkante«, erklärte Fandorin und sah den Polizisten neugierig an – wenn der sich nun plötzlich in den Zauberer Te Huanji verwandelte oder etwas noch Verrückteres anstellte?
    Der Polizist erhob sich ächzend, machte ein paar Schritte, rutschte aus und fiel beinahe hin.
    »Verdammt! Da liegen irgendwelche Kügelchen. Außerdem kann ich den Hals nicht drehen.«
    Er trat zu dem hingestreckten Mann in Schwarz. Bückte sich und zündete ein Streichholz an. Und stieß einen Pfiff aus.
    »Das ist ein Ding! Seine Erlaucht Graf Chruzki in höchsteigener Person!«
     
    5
     
    Das Verhör der Verhafteten sollte erst nach der Ankunft des Untersuchungsführers stattfinden, zu dem Nebaba vom Revier aus einen Eilboten geschickt hatte. Aus der provisorischen Aufenthaltsgenehmigung, die der Chinese vorwies, ging hervor, dass er Fang Chen hieß, siebenundsechzig Jahre alt war und im Haus des Grafen Chruzki wohnte, wo er das Amt des Kochs versah. Er konnte nur ein paar Brocken Russisch, und den gelehrtenOrientalisten dolmetschen zu lassen, wäre unter den gegebenen Umständen zumindest merkwürdig gewesen.
    »Sperren Sie den Chinesen vorerst in eine Z-Zelle«, befahl Fandorin dem Reviervorsteher. »Seine Rolle in dieser Geschichte ist mehr oder weniger klar. Sein Herr hat ihm befohlen, mir zu folgen, bei der ersten Gelegenheit die Kette zu entwenden und zu dem vereinbarten Treffpunkt zu bringen. Nicht wahr, Lew Aristarchowitsch?«
    Graf Chruzki saß in der Ecke auf einem wackligen Hocker und war in Anbetracht seiner ungewöhnlichen Sportlichkeit an den staubigen gusseisernen Ofen gekettet. Er war wieder bei vollem Bewusstsein und saß ungezwungen da, die Beine in den engen Leinenhosen übereinandergeschlagen. An seinen unglücklichen Sturz erinnerte nur ein graues Handtuch, mit dem ihm der verletzte Hinterkopf verbunden worden war. Das chinesische Samtmützchen lag am Boden, die schwarze Stoffjacke hatte der Graf aufgeknöpft, so dass nicht nur seine Brust entblößt war, sondern auch der muskulöse Bauch, aber das schien Chruzki nicht im geringsten zu genieren.
    »Die reine Wahrheit, Erast Petrowitsch«, antwortete der Arretierte und betrachtete den Hofrat mit Interesse. »Fang hat nichts gewusst. Ich habe ihm gesagt, dass die Kette mir gehört und dass Sie mich darum geprellt haben. Er ist ein lieber, harmloser alter Mann und ein vorzüglicher Kenner der klassischen Sichuan-Küche.«
    »Was hat es mit der Kette auf sich, Euer Erlaucht?«, mischte sich der Reviervorsteher ein. »Was ist an diesen Steinchen bloß so wertvoll, dass Sie ihretwegen zum Berserker geworden sind? Sie haben Prjachin mit dem Beil zerstückelt, und ums Haar hätten Sie auch Herrn Fandorin und mich kaltgemacht. Sie gehen zur Zwangsarbeit, für zwanzig Jahre! Wofür?«
    Statt zu antworten, sah Chruzki Fandorin fragend in die Augen, als wolle er ergründen, wie viel dieser wusste.
    »Das ist nicht mit zwei Worten gesagt, Makar Nilowitsch«, sagte Fandorin. »Diese Kette gehörte einem chinesischen W-Weisen, der vor vielen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher