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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Stunde ist nahe, also wozu warten.‹ Alle haben ihnen abgeraten, aber ihr Entschluss stand fest. Sie setzten sich in den Keller, wo der Kohl lagert, zündeten vierzig Kerzen an und dichteten die Tür von innen ab. Die Bauern haben gerufen, gerufen – doch keine Antwort, die haben nur Gebete gesungen.«
    »Warum habt ihr sie nicht mit Gewalt gehindert?« Kochanowski stöhnte. »Das war doch eindeutig eine Geistestrübung!«
    »Warum habt ihr mich nicht durch Boten zurückgeholt?«, fragte Odinzow drohend. »Das ist doch ein Verbrechen gegen das Gesetz.«
    »Es gab eine Versammlung«, erklärte Manefa. »Die Alten urteilten so: Ein freier Mensch hat einen freien Willen, und sich zwischenden Menschen und Gott zu stellen, ist Sünde. Aber ich bin auf Skiern hinter euch her, heimlich … Nur in dem Schneesturm hab ich euch in der Nacht nicht gefunden und bin vorbei. Und jetzt war ich schon wieder auf dem Rückweg …«
    »Mutiges Mädchen«, sagte Kryshow kopfschüttelnd. »Keine Angst vor dem Schneesturm und den Dorfnachbarn.«
    Aber Fandorin hatte seine eigene Theorie, um diese Furchtlosigkeit zu erklären, und sie wurde bestätigt durch die Blicke, die Manefa dem Japaner zuwarf. Der sah sie gar nicht an, denn ein richtiger Mann darf seine Gefühle nicht zeigen, er wandte nur stolz den Kopf.
    Jewpatjew rief voller Schmerz: »›Die Alten urteilten so‹! Wir verlieren Zeit, meine Herren. Wir müssen die Verrückten da herausholen, bevor sie erstickt sind. Sag doch, meine Liebe, wie weit ist es bis Masilowo, wenn man auf Skiern durch den Wald läuft?«
    Aber Manefa hörte nicht. Sie war zu dem Japaner getreten und sagte errötend etwas zu ihm.
    Die Antwort gab Odinzow, der die Gegend bestens kannte.
    »Zehn bis zwölf Werst. Im Pulverschnee an die drei Stunden. Schneller geht’s mit dem Schlitten übers Eis.«
    »Spann an, dreh um!«, rief Jewpatjew dem Kutscher zu. »Wir fahren zurück! Und du, Wachtmeister, fährst mit mir. Ich werde dich brauchen!«
    Das rührende tête-à-tête der Verliebten musste unterbrochen werden.
    »Wie spät war es, als der Starosta sich im Keller einmauerte?«, fragte Fandorin und berührte das Mädchen am Ellbogen.
    »Was?« Sie sah ihn mit verschleierten glücklichen Augen an. »Der erste Hahn hatte noch nicht gekräht.«
    Also spätestens um zwei Uhr nachts, überlegte Fandorin.
    »Wie groß ist der K-Keller?«
    »Ganz klein. Wie zwei Kohlfässer.«
    Sie zeigte die Größe: breitete die Arme aus und bückte sich ein wenig.
    Fandorin verzog das Gesicht und rief Jewpatjew und Odinzow zu, die schon in die Schlittenkutsche gestiegen waren: »Ihr verschwendet eure Zeit! Wenn die Bauern sich nicht besonnen und sie rausgeholt haben, ist es zu spät, sie zu retten. Sie hatten etwa zweieinhalb K-Kubikmeter Luft. Wenn sie die Ritzen verstopft haben und obendrein vierzig Kerzen brannten, hat die Luft für drei Erwachsene höchstens anderthalb Stunden gereicht. Es sind aber mehr als sieben vergangen … Manefa, hat der Starosta nicht einen Zettel hinterlassen?«
    »Hat er, für die Behörden. Dass er nicht bereit ist, Christus zu verleugnen. Und dann hat er noch ein Papier mit ins Grab genommen, mit Gebeten wohl.«
    »Da haben wir’s«, sagte Fandorin kopfschüttelnd zu dem Wachtmeister. »Genau wie in Denisjewo und im Paradies.«
    »Bei wem war denn der Gottesnarr Lawrenti zum Essen?« fragte Odinzow und trat zu dem Mädchen.
    »Beim Starosta.«
    Scheschulin ließ die Finger knacken.
    »Die Pathogenese ist klar. Unser Patient hat ihn psychologisch bearbeitet. Deshalb hat der Alte am Abend so bedrückt dagesessen. Alle anderen waren fröhlich, lachten, doch er war finster wie eine Gewitterwolke. Tja, ich kann es kaum erwarten, den ehrenwerten Lawrenti wiederzusehen. Mich interessiert brennend der Mechanismus der obsessionogenen Hypnose. In einer deutschen psychiatrischen Zeitschrift habe ich gelesen …«
    Aber Fandorin hörte die gelehrte Sentenz nicht bis zu Ende an, er trat zu Kirilla. Jewpatjew, der nach Masilowo zurück wollte, hatte die Märchenerzählerin und ihre Führerin aus seiner Schlittenkutsche rausgesetzt. Die beiden waren niedergekniet und beteten – für die Verstorbenen wohl.
    »E-Entschuldigung, dass ich störe«, sagte Fandorin und hockte sich neben sie. »Aber Sie haben doch bei dem Starosta übernachtet. Wie haben die sich gegeben? Warum brannte in der Stube Licht?«
    »Als alle gegangen waren, standen sie selbdritt vor den Ikonen und begannen zu beten«, erzählte Kirilla

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