Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Mädchen mochte man nicht wecken, aber im Hause des Starosta brannte Licht, dort schlief niemand, darum schaute Jewpatjew hinein und fragte.
    »Nach Bogomilowo? Ich fahre mit«, sagte Kirilla. »Da war ich noch nie, und es soll ein schönes, gottgefälliges Dorf sein. Polkaschka, nimm dein Bündel!«
    Da hielt Kryshow es nicht mehr aus.
    »Der Teufel soll euch holen! Dann sterben wir eben zusammen!«
     
    Sie starben natürlich nicht, gelangten aber auch nicht ans Ziel. Kryshow behielt recht.
    Lange vor Tagesanbruch, etwa nach der Hälfte der Wegstrecke, stürzte eine Schneebombe auf den Fluss nieder. Alles verschwand: der Himmel, der Wald, die Ufer. Fandorin konnte durch die rasenden weißen Flocken hindurch nur mit Mühe die Kruppe des Pferdes erkennen. Odinzow, der, mit einem Schafpelz zugedeckt, hinten schlief, war im Nu unter einer Schneewehe verschwunden.
    Wohin lenken? Es war nichts zu sehen. Man musste anhalten.
    Aus dem Nirgendwo schallte, das Heulen des Windes übertönend, die Stimme Kryshows: »Nach links! Nach links! Alle nach links!«
    Links, unterhalb des Steilufers, war es in der Tat verhältnismäßig ruhig. Die Gefährte kamen eines nach dem anderen aus dem Schneegestöber hervor und stellten sich im Halbkreis auf.
    »Na, was habt ihr nun erreicht?«, schrie Kryshow verärgert. »Lawrenti ist bestimmt längst dort, quer durch den Wald, und wir sitzen hier fest. Über zwanzig Werst sind es bis Masilowo und fast ebenso viel bis Bogomilowo!«
    »Sind wir in Gefahr?«, fragte Doktor Scheschulin nervös und wischte sich den Schnee aus dem Bart. »Ich habe gelesen, solch ein Schneesturm kann zwei, drei Tage dauern.«
    Jewpatjew sog die Luft durch die Nase ein.
    »Nein, der dauert nicht lange. Vielleicht fünf, sechs Stunden. Macht nichts, warten wir ab. Dort am Hochufer werden wir ein Feuer machen, da wird es nicht ausgeweht. Außerdem können wir uns umschichtig in meiner Schlittenkutsche wärmen.«
    Also richtete man sich ein.
    Eine halbe Stunde später loderte in einer Ufereinbuchtung ein helles Feuer, um das auf Tannenzweigen, jeder mit etwas zugedeckt, die Männer lagen. Kirilla und das Mädchen durften in Jewpatjews warmer Kutsche beim Öfchen bleiben.
    Während die Karawane sich über den Fluss bewegte, war Fandorin angespannt und konzentriert gewesen und hatte nur daran gedacht, nicht zu spät zu kommen. Jetzt aber, da er nichts tun konnte, befahl er seinem Geist und seinem Körper, sich zu entspannen. Ein chinesischer Weiser hatte vor zweitausend Jahren gesagt: »Wenn ein edler Mann alles getan hat, was in seinen Kräften steht, vertraue er sich dem Schicksal an.« Darum legte sich Fandorin auf den Rücken, deckte sich mit einem Plaid aus dem Schlitten zu und entschlummerte zum Wiegenlied des Sturms.
     
    Er erwachte in der Morgendämmerung. Von einem Schrei.
    Es schrie eine Frau.
    Der Schneesturm hatte sich gelegt, offenbar gerade erst, denn über der Flussbiegung wölkte noch weißer Staub, aber Gottes Welt war friedlich und gütig. Wäre nur nicht die weinerliche Stimme gewesen: »Hier seid ihr also! Ich hab euch nicht gesehen und bin vorbeigelaufen! Uuu! Helft! Uuu!«
    Auf dem schneeverwehten Eis, auch weiß, wie Schneewittchen, stand auf Skiern die Masilowoer Schönheit Manefa. Was sie schrie, begriff der schlaftrunkene Fandorin nicht sofort.
    Seine Nachbarn rappelten sich nacheinander auf. Aus Jewpatjews Schlittenkutsche guckte Polkaschka.
    »Was ist, Mädchen?« Kryshow sprang auf die Füße. »Ist was passiert?«
    Da kannte Fandorin die Antwort. Er fragte nur: »Wer?«
    »Der Starosta«, schluchzte das Mädchen, hockte sich hin und hielt die roten Hände über die glimmenden Kohlen. »Mit Frau und Tochter … die arme Xjuscha, sie hat so schön Tiere gemalt …«
    Vater Vikenti brüllte:«Gott der Herr hat ihnen den Verstand genommen! Für ihren Irrglauben! Hab ich ihnen nicht gestern eingeschärft: ›Besinnt euch! Werdet sehend!‹ Sie haben die Ohren mit Wachs verstopft, und das ist die Strafe!«
    Manefa wurde von allen Seiten mit Fragen bestürmt. »Wann hat er das gemacht?«
    »Habt ihr sie ausgegraben?«
    »Von wo kommst du jetzt?«
    Manefa, Tränen schluckend, antwortete allen auf einmal: »Als ihr gestern weg wart, ist der Starosta von Haus zu Haus gegangen, sich verabschieden. ›Behaltet mich in guter Erinnerung, auch wenn ich mal grob war. Wir werden uns retten und beim Herrgott für die Gemeinde ein Wort einlegen. Ihr bleibt noch, nur habt auch ihr nicht mehr viel Zeit. Die

Weitere Kostenlose Bücher