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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Alten hier ruhig schreiben, wird wohl nichts Aufregendes passiert sein. Warten wir die Dämmerung ab.«
    Es dauerte nicht lange. Der kurze Wintertag ging bald zur Neige.
    Man begab sich in die Diele, um sich aufzuwärmen. Im Schlitten verblieb nur Masa. Er saß in sich gekehrt, teilnahmslos. Solange Manefa bei ihm gewesen war, hatte er männlichen Gleichmut gezeigt, doch nachdem das Mädchen sich verabschiedet hatte, war er in sich zusammengesunken. Unterwegs sprach er kein Wort, lutschte keine Bonbons, verweigerte das Mittagessen und bewegte nur unablässig die Lippen. Fandorin wusste, dass er ein Gedichtmachte – ein Tanka oder Hokku. Unter der Trennung von der Liebsten zu leiden, das war zulässig, ja, würdig.
    Aber Fandorin brauchte jetzt keinen Gesprächspartner. Er blickte hinüber zu dem fernen Wald, über dem sich der Himmel schon blutrot färbte, und versuchte sich vorzustellen, wie das ist: fern von den Menschen zu leben, am Fluss, und Bücher zu kopieren, die kaum jemand benötigt. Nun, im Alter mochte das nicht schlecht sein. Möglicherweise würde auch er es nicht ablehnen, den Lebensabend so zu verbringen: irgendwo an einem menschenleeren malerischen Platz zu siedeln und in Schönschrift weise Aussprüche zu kopieren. Und wenn man dann noch geehrt und verpflegt und umsorgt wird, ist das nicht das Paradies?
    Die friedlichen Gedanken brachen ab, als Kryshow und Scheschulin auf der Vortreppe erschienen, um zu rauchen. Ihr Gespräch hatte wohl schon in der Diele begonnen, so dass Fandorin den Anfang nicht mitbekommen hatte.
    »… gerät der ganze Norden in Bewegung«, sagte Kryshow lebhaft. »Lebendig in die Erde, das macht Eindruck. Und dann wird noch manches hinzugedichtet. Na, das gibt einen Aufruhr!«
    »Und glauben Sie mir, das ist noch nicht das Ende«, erwiderte der Psychiater. »Schon jetzt elf Tote, dabei ist dieser Altgläubigen-Savonarola noch nicht gefasst, und wer weiß, ob er überhaupt gefasst wird. Denken Sie an mein Wort, er wird noch zahlreiche leicht beeinflussbare Menschen ins Grab bringen. Ach, was da für Material zusammenkommt! Wenn ich zurück bin, halte ich einen öffentlichen Vortrag. Ich sage Ihnen, das wird ein Ereignis!«
    Der Rabe dem Raben zur Antwort schreit: Ich weiß ein Mahl für uns bereit 6 , dachte Fandorin, schnitt eine Grimasse und wollte diesen Enthusiasten aus dem Weg gehen, aber da blickte Jewpatjew aus der Tür.
    »Es ist so weit!«
     
    Vier langbärtige Greise saßen an einem Tisch, auf dem sorgsam geschichtete Stöße gelblichen Papiers lagen; aus Messingtintenfässern, die mit der Zeit grün geworden waren, ragten Gänsefedern. Die Gesichter der Buchmänner waren zerknittert und streng; der Kopf des gebrechlichsten Alten zitterte auf dem mageren Hals, als ob er unentwegt etwas abstritte oder verweigerte.
    Die Greise erinnerten an Richter oder an eine Prüfungskommission, und die Eintretenden fühlten sich irgendwie unbehaglich. Sie setzten sich linkisch auf die Bank an der Wand, in ehrerbietigem Abstand zu diesem Areopag. Polkaschka hatte sich hier nicht hereingetraut, sie lief durch den kleinen Wald ins Dorf, wohl um den Kindern Märchen zu erzählen und so etwas Essbares zu verdienen.
    Jewpatjew hatte vor dem Eintreten gewarnt: »Sie müssen als Erste sprechen. Das ist der Brauch.«
    Aber die Greise hatten es nicht eilig, das Gespräch zu beginnen. Das Schweigen lastete.
    Die Buchmänner musterten die Besucher, ließen langsam den Blick von einem zum anderen wandern. Bei Kirilla verfinsterten sich ihre Mienen – offenbar hatte ein Weib, wenngleich von nonnenhaftem Aussehen, in dieser heiligen Halle nichts zu suchen.
    Die Sonne war untergegangen, in der Stube wurde es dunkel. Jewpatjews Kutscher brachte aus dem Schlitten Kerzen, stellte sie auf den Tisch, zündete sie an. Die Greise beobachteten sein Tun mit Missbilligung.
    »Kerzen sind gut fürs Gebet«, nuschelte der mit dem Zitterkopf. »Ein Kienspan hätte genügt.«
    Wieder Stille. Endlich war die Musterung beendet.
    »So, nun sprecht«, sagte wieder derselbe Alte, der wohl hier den Ton angab. »Was seid ihr für Leute, was führt euch her? Dich, Nikifor, kennen wir, dich haben wir öfter gesehen, doch wer sind die anderen?«
    Er legte die Hand ans Ohr, war wohl auch harthörig.
    Als Erster erhob sich der Wachtmeister als offizieller Vertreter der Macht. Respektvoll, doch streng sprach er von den Selbstmorden. Fragte, ob »der Verbrecher, der sich Gottesnarr Lawrenti nennt«, hier gewesen sei und ob

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