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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mit trauriger, doch ruhiger Stimme. »Sie beteten eine Stunde, noch eine, eine dritte. Ich habe mich nicht eingemischt und auch Polkaschka geheißen, mäuschenstill zu sitzen. Nur einmal bin ich zu ihnen getreten, habe mich verneigt. Eine Freude ist es, solchen Glaubenseifer zu sehen, hab ich gesagt. Erlauben Sie mir, mit Ihnen zu beten. Da hat der Hausherr mir geantwortet: ›Wir sind hier und du bist dort. Gehe mit Gott.‹ Ich Sünderin dachte mir, der Alte ist vielleicht zu stolz, mit einer Bettlerin das Knie zu beugen. Aber er meinte es nicht so: Sie waren schon auf dem Weg ins Jenseitige, bereiteten sich vor auf das große Geheimnis …« Kirilla bekreuzigte sich und wehklagte: »Die Augen hab ich mir verbunden, um besser mit dem Herzen zu sehen, und bin doch blind geblieben, hab’s nicht ersehen können.«
    Wenn sie’s erraten hätte, würde sie auch nicht versucht haben, es ihnen auszureden, überlegte Fandorin und dachte daran, dass die Versammlung in Masilowo entschieden hatte, sich nicht einzumischen. Was lebten doch für Menschen in diesen Wäldern!
    Ihm ließ der Zettel keine Ruhe, den die Selbstmörder für die Behörden hinterlassen hatten. Die ersten beiden hatte er bei sich. Sie stimmten Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe überein, und auch die Handschrift war dieselbe. Nach Manefas Beschreibung zu urteilen, hatte der Masilowoer Starosta, bevor er »sich eingrub«, seinen Mitdörflern auch einen solchen hinterlassen.
    Ob die Bücherkopisten von Bogomilowo ihre Hand im Spiel hatten? Wer außer den altgläubigen Schreibkünstlern vermochte noch die vorpetrinischen Buchstaben zu zeichnen?
    »Bald zehn«, sagte Fandorin sorgenvoll zu Jewpatjew und Odinzow. »Lawrenti hat einen großen Vorsprung. Wir müssen uns beeilen.«
    Jewpatjew wandte sich den Übrigen zu und rief schallend: »Nach Bogomilowo!«
     
    Von geheimen Teilen
     
    »Das soll das Dorf Bogomilowo sein?«, fragte Fandorin mit Blick auf das klägliche Häuflein von Gebäuden: vier kleine Häuser und ein großes, dazu ein Kirchlein aus Holzstämmen.
    »Es gibt zwei Bogomilowos«, erklärte Wachtmeister Odinzow. »Dies ist das Kirchdorf, weil hier die Kirche steht. Die wichtigsten alten Männer leben hier, es sind vier. Das andere Bogomilowo liegt hinter dem Tannenwald dort, anderthalb Werst von hier. Es ist groß, hat aber keine Kirche, darum heißt es nur ›Dorf‹.«
    Und er erzählte, wie erstaunlich das Leben der Kopisten eingerichtet war.
    Alte Bücher abzuschreiben, das sei eine nicht allein langwierige, sondern auch heilige Arbeit, zu der nur der Älteste einer Sippe zugelassen werde, ein Mann, »der aus dem sündigen Alter heraus« sei, wie Odinzow grienend erläuterte.
    In Bogomilowo lebten lediglich vier Familien mit je einem Großvater an der Spitze. Dieser mache sich nicht mit gewöhnlicher Arbeit die Hände schmutzig, sondern stelle von früh bis spät »Abschriften« her. Das
Spinnen
des Papiers und das Einbinden der Schriften besorgten die Söhne, Schwiegersöhne und Enkelkinder. Die Frauen und Mädchen
rieben
die Tinte, die Kunstfertigen zeichneten auf den Rändern in Gold und Zinnober Blumen und
Dattel muster
.
    Den Alten würden Essen und saubere Kleidung ins Kirchdorf gebracht, sie würden auf jegliche Weise umhegt.
    »Also wohnen hier nur vier P-Personen? Warum sind wir dann nicht ins Dorf gefahren, wo die eigentliche Bevölkerung lebt?«
    »Weil die Großväter alles entscheiden. Was sie sagen, wird gemacht.«
    Die Schlitten fuhren hintereinander den Hügel hinan, auf dem die Häuser standen. Niemand kam ihnen entgegen, niemand schaute heraus. Fandorin richtete sich beunruhigt auf, doch der Wachtmeister beschwichtigte ihn: »Da, der Rauch! Sie sitzen, schreiben.«
    Die vier Häuser hatten winzige Fenster wie fast überall im Norden, damit die Wärme nicht entwich. Aber mittendrin erhob sich ein für diese Gegend ungewöhnlicher Bau aus Baumstämmen, mit großen Fenstern. Aus dem Schornstein stieg eine weiße Rauchfahne.
    »Das ist das
Bücherhaus
.« Der Polizist zog die Zügel an und hielt bei der Vortreppe. »Da sind sie alle drin.«
    Jewpatjew stieg die Stufen hinauf, bedeutete den anderen, draußen zu bleiben, und verschwand in der Tür.
    Bald kam er wieder heraus.
    »Wir müssen uns gedulden. Die Alten hören mit der Arbeit erst auf, wenn es dunkel wird. Sie reden auch nicht. Ich habe nur nach Lawrenti gefragt. Er war hier, am Morgen schon. Hat kurz verschnauft und ist dann weiter flussaufwärts. Da die vier

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