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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Tür.
    Sie war auch sorgfältig kalfatert, hatte aber keinen Riegel – nach einem leichten Stoß ging sie leise knarrend auf.
    Das Atmen wurde sehr mühsam, obwohl von oben Zugluft kam. Auf Fandorins Stirn traten Schweißtropfen .
    Fandorin dachte: Das also ist der Geruch des Todes. Der Tod stank nach gefrorener Erde, geschmolzenem Wachs und Urin.
    Masas Dynamolampe surrte, in die Höhle kam Licht.
    Sie war ein winziges Kämmerchen.
    Das niedrige Gewölbe, mit Brettern verkleidet, wurde von einem einzigen Holzpfahl getragen, an dem oben diagonale Stützen zusammenliefen wie die Stäbe am Stock eines Regenschirms.
    »Leuchte mal t-tiefer!«
    Vier reglose Körper in schwarzen Leichengewändern. Drei lagen auf dem Rücken, auf der Brust waren achtendige Kreuze eingestickt. Aber die runzligen Greisengesichter sahen nicht glückselig aus, sie waren von Qualen verzerrt.
    Der vierte Tote lag verkrümmt bei dem Pfahl, die Finger waren in das Holz gekrallt.
    Überall standen Kerzen, viele, sehr viele. Keine war über die Hälfte niedergebrannt, sie hatten den Sauerstoff verbraucht und waren erloschen.
    »Herrgott, empfange die Seelen …«, flüsterte Odinzow und bekreuzigte sich mit zwei Fingern (er hatte wohl durch die Erschütterung vergessen, dass er schon längst kein Altgläubiger mehr war). »Lassen Sie mich hinein, Erast Petrowitsch, wir müssen sie rausholen …«
    »Halt, bleib hier!«, stoppte ihn Fandorin und zeigte auf den Pfahl.
    Der war in der Mitte dünngeschnitzt – wie von einem Biber benagt – und hielt das Gewölbe nur noch durch ein Wunder. Beimkleinsten Stoß würde er wegbrechen. Um diese fragile Konstruktion zu bauen, bedurfte es genauester Berechnung und großen Könnens.
    Der Polizist, der schon halb in den Keller gekrochen war, erstarrte.
    »Wozu das?«, fragte er.
    »Hast du nicht vom leichten und vom schweren Tod gehört? Die drei hier haben den schweren gewählt, sie sind erstickt. Der dünngeschnitzte Pfahl ist für solche, deren Kraft nicht reicht, die Qual auszuhalten. Wenn die Stütze weggestoßen wird, ist es aus …«
    Masa richtete das Licht auf den verkrümmten Toten. Es war der spitznasige Schreiber – er hatte am längsten gelitten. Um die Qual nicht mehr ertragen zu müssen, hatte er den
leichten
Tod gewollt, war zum Pfahl gekrochen, hatte aber nicht mehr die Kraft gehabt, die Decke zum Einsturz zu bringen. Von ihm kam der Uringeruch. Unter seinen Nägeln war Schmutz und Blut, er hatte die Erde aufgekratzt. Ein Glück, dass sein Gesicht unter der Mönchskappe nicht zu sehen war.
    »Ein schwerer Tod«, sagte Odinzow schaudernd und wich zurück. »Gott soll schützen. Der Zimmermann in Denisjewo hatte es seiner Familie erleichtert, erinnern Sie sich? Er hatte die Stütze zerbrochen …«
    Der Lichtstrahl glitt von dem Toten weg, huschte über die Erde und verhielt auf einem weißen Rechteck, das etwas abseits lag; auf die vier Ecken waren Kerzen gestellt.
    Fandorin ließ sich auf alle viere nieder und kroch sehr vorsichtig, um nichts zu berühren, in die Mine hinein. Er streckte die Hand aus, griff das Blatt und kroch ebenso langsam zurück, ohne den Blick von dem eingekerbten Pfahl zu lassen.
    »Leuchte mal her!«
    Das Blatt war mit altertümlichen Buchstaben vollgeschrieben, die aber nicht kalligraphisch waren wie die der Buchmänner,sondern einfach, fast wie gedruckt. Die Handschrift war die gleiche wie die von den Abschiedsbriefen in den anderen Minen.
    Aber der Text war ein anderer.
    Fandorin, mühsam entziffernd, las laut, Silbe für Silbe: »Doch bis-wei-len ret-te-te ich mich in ein Klos-ter, das durch al-te Fröm-mig-keit leuch-te-te…«
    Der Wachtmeister stieß einen wüsten Fluch aus, so laut, dass die Wände ein Echo zurückwarfen und der Stützpfahl gefährlich knarrte.
    »Der Polizeichef! Dieser Halunke! Ein gebildeter Mann! Der … sollte Schweine hüten!«, setzte Odinzow flüsternd seine Flüche fort. »Erast Petrowitsch, wissen Sie nicht mehr? In Denisjewo habe ich ihm genau den gleichen Zettel gegeben, der in der Erde lag! Er hat den ersten Satz vorgelesen, dann den Zettel zusammengeknüllt und weggeworfen!«
    Tatsächlich! Wäre Fandorin nicht so intensiv mit der Entschlüsselung des altslawischen Alphabets beschäftigt gewesen, so hätte er sich selbst daran erinnert. Der Wachtmeister hatte dem Polizeichef den in der Mine gefundenen Zettel gegeben, doch der hatte ihn als »Altgläubigenquatsch« bezeichnet und weggeworfen.
    Also, bevor die Selbstmörder sich

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