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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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den Wald zum Staroswjatski-Kloster gezogen.«
    »Wer lebt da?«
    »Niemand. Früher waren da alte Nonnen, aber die letzte ist so vor zehn Jahren gestorben. Das ist ein angesehener, frommer Platz. Dort gibt es eine kleine Kapelle der Praskewia Pjatniza, der Beschützerin des Familienlebens und des Kindeswohls. Die Weiber führen gern ihre Kinder hin. So auch Kirilla ihr Mädchen. Eigentlich führt ja das Mädchen sie hin … Und was werden Sie unternehmen, meine Herren?«
    »Was mich angeht, so werde ich über die Schafe lesen.« Fandorin setzte sich an den Tisch, zog die Petroleumlampe näher heran und holte das Blatt Papier aus der Tasche. »Lesen und n-nachdenken.«
    »Was denn für Schafe?«
    »Schafe mit w-weißem Fell. Sehr interessantes Dokument. Ichhabe es erst einmal überflogen. Jetzt will ich es richtig studieren. Ich lese laut vor. Hören Sie gut zu. Ich nehme an, dieser Text enthält den Sch-Schlüssel.«
     
    Der Schlüssel
     
    »Doch bisweilen rettete ich mich in ein Kloster, das in uralter Frömmigkeit leuchtete«,
hob Fandorin an vorzulesen, nachdem er erklärt hatte, woher das Papier stammte, das mit dem aus der Denisjewoer Mine übereinstimmte.
»Dieses Kloster war fest gebaut, war reich an Ackerland und Vieh, vornehmlich weißwolligen Schafen. Und der Vater Abt trug mir als Glaubenstat auf, die überaus zahlreiche Schafherde zu hüten. Eines Tages hatte ich die Herde schön beisammen und setzte mich unter einen Eichenbaum und entschlummerte und hatte einen Traum. Ich sah das Land Dobro der Gerechten …«
    »Was, was?«, fragte der gespannt zuhörende Odinzow.
    »›Ich sah das Land Dobro der Gerechten‹«, wiederholte Fandorin achselzuckend. »Keine Ahnung, was das bedeutet.«
    Jewpatjew rief ungeduldig: »Lesen Sie weiter! Ich kenne den Text. Nachher erzähle ich’s. Weiter!«
    »›
Ich sah das Land Dobro der Gerechten. Und da wurde ich schwach und ängstlich. Mir träumte, ich säße auf einer großen Wiese unweit eines dunklen Waldes und schliefe und meine Schafe wären nach allen Seiten auseinandergelaufen. Und dann träumte mir, ich wäre aus dem Schlaf hochgefahren und sähe: O Unglück, meine weißen Schafe stehen überall verstreut. Manche am Waldrand, und der Schatten der Bäume lässt ihr Fell dunkel erscheinen. Andere sind schon im Dickicht, und von dort tönt Blöken und Geschrei, denn Riesenwölfe reißen meine Lämmer. Und die Sonne steht bereits niedrig, gleich geht sie unter, und dann springen die Wölfe aus dem Wald und reißen meine ganze Herde.
    Da kam eine große Angst über mich, und ich lief übers Feld, was konnte ich tun? Die Schafe einsammeln – nein, die waren weit auseinandergelaufen.
    Da sah ich in der Nähe ein Grüppchen – Bock, Schaf und Lamm. Die peitschte ich mit einer Gerte zur Straße hin, sie liefen gottlob. Und brachten sich in Sicherheit.
    Und fand jeste noch ein Grüppchen …‹«
    »Schon wieder unverständlich«, unterbrach nun Fandorin selbst seine Lesung. »Was bedeutet jeste?«
    »Jeste ist ein altslawisches Hilfsverb, eine vergessene grammatische Form; ich verstehe nicht viel davon«, sagte Jewpatjew. »Vielleicht ist es ja auch ein Abschreibfehler. Das kommt öfter vor: Einer verschreibt sich, und die Nachfolgenden kopieren es mit Fleiß, sonst wäre es Sünde.«
    »Schon wieder ein unbegreifliches Wort: ›Und danach glagolja noch ein drittes‹.«
    »Nun, das ist klar: ›Glagolja‹ bedeutet soviel wie ›reden‹, ›sagen‹. Aber halten Sie nicht inne, lesen Sie weiter.«
    »… und danach glagolja noch ein drittes. Und noch poluishe holte ich ein. Mehr war, sah ich, nicht zu schaffen. Die Sonne war schon zur Hälfte untergegangen hinterm Wald, die Wölfe und Wölfinnen zwischen den Bäumen fletschten die Zähne, es waren viele, an ihrer Spitze der Wolf-Antichrist mit dem Kreuz auf der Stirn, und sein Name war Sud. Der Tod war nahe! Was konnte ich dem Vater Abt sagen, wenn er mich fragte: ›Wo ist meine Herde?‹
    Da bin ich Sünder auf die Knie gefallen und habe die Augen geschlossen, um nicht die Erde zu sehen, sondern den Himmel. Und ich habe gebetet zur Gottesmutter: ›Schütze mich, heilige Jungfrau, und lehre mich, wie kann ich die weißen Schafe und Lämmer retten?‹
    Und da erbarmte sich die heilige Jungfrau und sprach von ihrer goldenen Wolke herab zu mir: ›Alle Schafe kannst du nicht retten, rette die weißen Lämmer.‹
    Da bin ich aufgestanden und habe meine Hunde losgelassen, den Hund und die Hündin. Der Hund erschrak

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