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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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war vorüber. Jetzt befanden sich in dem geräumigen Zimmer mit der niedrigen Decke vier Personen: Ein alter Mann mit verschlissenen Ärmelschonern und ein freundlicher junger Mann saßen an ihren Schreibtischen; in der Ecke döste im Sessel ein Mann mit Schnurrbart; an der gegenüberliegenden Tür stand gähnend eine rotwangige junge Frau.
    Nun musste Fandorin herausfinden, wer hier wer war, und die Personen ermitteln, die die Möglichkeit gehabt hatten, das Gift in die Teekanne zu tun.
     
    Ein langweiliges Leben
     
    Damit verging der ganze Tag. Natürlich nicht mit dem Kennenlernen der Angestellten (das dauerte nicht einmal fünf Minuten), sondern mit der vorsichtigen Erkundung, wer an dem verhängnisvollen Dienstag, dem 6. September, wo gewesen war und was getan hatte.
    Ein Alibi hatte keiner.
    Der gallige Landrinow brachte die maschinegeschriebenen Blätter immer selbst ins Kabinett des Chefs, und wenn der nicht da war, legte er sie auf den Tisch. Er wäre an die Teekanne herangekommen.
    Neben der sperrigen »Remington«, die mit ihrem Rattern das ganze Zimmer erfüllte, stand der Tisch des jungen Mannes mit demfreundlichen Gesicht. Er hieß Taissi Saussenzew und war auch Schriftführer. Jedes Mal, wenn die elektrische Klingel ertönte, eilte er ins Kabinett und kehrte mit Papieren zurück, die er unten, im Kontor, verteilte. Konnte Saussenzew das Gift in die Kanne geschüttet haben, während der Chef vielleicht gerade ein Dokument unterschrieb oder telephonierte? Nicht ausgeschlossen.
    Der Schnurrbärtige, der beim Erscheinen des »Praktikanten« in seinem Sessel gedöst hatte, war kein Angestellter des Büros, sondern der Kammerdiener Fedot Fedotowitsch. Er hatte dem früheren Direktor gedient und war bei dem neuen geblieben. Er hatte auf einem Tischchen eine eigene Klingel; wenn die schellte, ging er ins Kabinett, um den Tisch für das Frühstück zu decken, seinem Herrn den Mantel zu reichen oder ähnliche Dienste zu verrichten. In der übrigen Zeit saß er im Sessel und las Zeitung oder döste. Fandorin bemerkte jedoch, dass der Kammerdiener, selbst wenn er friedlich schnarchte, unter gesenkten Wimpern das Zimmer im Auge behielt. Bei jedem privaten Gespräch senkten die Angestellten die Stimme und blickten zu dem Sessel. Eine Nebenfigur? Zweifellos.
    Besondere Aufmerksamkeit verdiente die Köchin – ebenjene Marja Ljubakina, die dem Verstorbenen den unseligen Tee gereicht hatte. Die kräftige junge Frau hatte ein Kabuff neben dem Büro. Zu ihren Pflichten hatte es gehört, für den magenkranken Direktor besondere durchpassierte Speisen zu bereiten. Sergej von Mack, der keine Diät benötigte, wollte auf ihre Dienste verzichten, aber Fandorin bat ihn, Marja vorerst zu behalten. Sie litt unter der Untätigkeit, darum stand sie fast die ganze Zeit in der Tür und gaffte die Männer an.
    Der fünfte Verdächtige schließlich war der Oberschriftführer und Bürovorsteher Luka Lwowitsch Serdjuk, der Vater der Malerin. Er lief ständig zwischen Büro und Kabinett hin und her. Während Fandorin ihn beobachtete, dachte er erstaunt, wie sehrdoch mitunter der Name seinem Besitzer entspricht. Serdjuks Kopf, der sich nach oben verjüngte und in einem grauen Schopf mündete, erinnerte wirklich an eine Zwiebelknolle. Es wäre interessant, sich den Vater dieses Herrn anzusehen, dachte Fandorin. Vielleicht hatte er Ähnlichkeit mit einem Löwen 4 ?
    Auf solch sinnlose Gedanken verfiel Fandorin angesichts der entsetzlichen Monotonie der Beschäftigungen und der irgendwie staubigen Langeweile, die den ganzen Raum durchdrang. Der Pseudo-Sekretär hatte keine richtige Aufgabe – er legte Papiere von einem Stapel auf den andern und zeichnete mit besorgter Miene Hieroglyphen in seinen Notizblock. Dreimal ließ der Baron ihn rufen, angeblich in einer dringenden Sache, in Wirklichkeit wollte er wissen, zu welchen Schlussfolgerungen der Beamte neigte. In Ermangelung von Schlussfolgerungen wurde der »Sekretär« ins Büro zurückgeschickt. Er starrte leere Blätter an, fühlte bald diesem, bald jenem vorsichtig auf den Zahn. Die Zeit kroch.
    Zu den erfreulichen Resultaten des Tages zählte, dass sich mit diesen fünf Personen der Kreis der Verdächtigen erschöpfte. Im Büro erschienen Boten und Telegraphisten, bei Fedot Fedotowitsch meldete sich der Kutscher des Barons oder ein Lakai mit einer Nachricht von zu Hause, aber sie alle kamen nicht in Betracht, weil keiner von ihnen ins Kabinett oder in Marjas Küche vordringen

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