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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Familie. Ich stand hinter der offenen Schranktür, so dass er mich nicht gesehen hat. Er ist ins Kabinett gegangen und sofort wieder rausgekommen. Wahrscheinlich wollte er mit seinem Vater reden, hat ihn aber nicht angetroffen. Der Herr Direktor war dringend zum Telegraphen gerufen worden.«
    Ein honigsüßes Lächeln erhellte das zerknitterte Gesicht des Petersburger Ermittlers.
    »Quod erat demonstrandum«, wiederholte er halblaut. »Jetzt ist alles endgültig an seinen Platz gerückt. Meine Herren!«, wandte er sich schon in anderem, strengem Ton an die Anwesenden. »Sie alle waren Zeugen dieser hochwichtigen Erklärung. Sollte es Herrn Landrinow im Nachhinein einfallen, seine Aussage zu widerrufen (was tut man nicht alles für gutes Geld), werde ich Sie alle unter Eid aussagen lassen.«
    »Vielleicht sind Sie selber auf Schmiergeld erpicht, deshalb brauchen Sie noch lange nicht andre zu verleumden!«, schrie der Maschineschreiber erbleichend. »Landrinow geht für kein Geld der Welt von der Wahrheit ab!«
    Er straffte sich und sah Mawra mit solchem Stolz an, dass sie den Pinsel zwischen ihre weißen Zähne klemmte und dem Verteidiger der Prinzipien lautlos Beifall klatschte. Die Ironie in ihrer Gestik bemerkte er nicht – er nahm alles für bare Münze und strahlte so glücklich, dass Fandorin Mitleid mit dem Ärmsten bekam. Bald wird er von Paris erfahren, dann ist er am Boden zerstört.
    Plötzlich trat Wanjuchin zum Tisch des »Sekretärs«, verneigte sich mit unverhohlenem Hohn und flüsterte: »Na, Sie ›Freund der Familie‹, wetzen Sie, berichten Sie.« Er deutete mit dem Kopf auf die Tür zum Kabinett. »Es sieht mies aus für Ihren Patron. Heute werde ich ihn in Ruhe lassen, denn es sind noch gewisse Formalitäten zu erledigen, aber morgen kann er sich auf ein freudiges Wiedersehen gefasst machen. Ich wünsche ihm eine wunderbare Nacht.Richten Sie ihm das aus: Seine Exzellenz wünscht schönste Träume. Und sagen Sie ihm noch« – er trat ganz nahe an Fandorin heran –, »er soll nicht auf die Idee kommen, eine plötzliche Reise zu unternehmen. Daraus wird nichts – ich habe Maßnahmen getroffen.«
    »Mein Herr, Sie stehen mir im Weg.« Mawra zupfte Wanjuchin ungeniert am Ärmel. »Gehen Sie beiseite.«
    Der Untersuchungsführer bedachte Fandorin mit einem drohenden Blick und entfernte sich. Das Mädchen rief: »Na endlich! Sie haben in seiner Gegenwart einen ganz anderen Gesichtsausdruck bekommen! Weg mit den Fältchen. So ist es gut.« Sie glättete mit den Fingern seine Stirn, die Falte um den Mund. »Oh, jetzt hab ich Sie beschmiert.«
    Mit bezaubernder Unbefangenheit speichelte sie ihr Taschentuch ein und wischte dem Beamten den Fleck von der Wange.
    »Mawra, das ist dem Herrn vielleicht unangenehm!«, sagte ihr Vater vorwurfsvoll.
    Taissi kicherte, und Landrinow knirschte so laut mit den Zähnen, dass es im ganzen Zimmer zu hören war.
    Die Hand mit dem Tüchlein sacht beiseiteschiebend, sagte Fandorin:
    »Für heute ist es genug. Ich muss tatsächlich mit dem Herrn Direktor reden.«
     
    »Ich war nicht hier, ich schwör’s Ihnen!«, rief Sergej von Mack, ohne bis zu Ende zugehört zu haben. »Das stimmt nicht!«
    Fandorin blickte nach unten, auf das grüne Tuch.
    »Herr von Mack, bevor ich zu Ihnen kam, war ich im Erdgeschoss und habe im Pförtnerbuch nachgeschaut. Sie wissen doch, dass in Ihrer Firma genau registriert wird, wann jeder Mitarbeiter kommt und geht. Dort steht schwarz auf weiß: Vorstandsmitglied S. L. von Mack gekommen 19.25 Uhr, gegangen 19.34 Uhr. Genau um diese Zeit hat die Köchin den Tee ins Kabinett gebracht.«
    »Ach ja, ich war da …«, sagte der Baron verlegen. »Ich musste mit meinem Vater reden. Ich wollte hinauf zum Kabinett, aber das brauchte ich nicht, denn ich habe Vater schon in der Telegraphenstelle getroffen.«
    »Dort war sicherlich noch jemand? Der Telegraphist zum Beispiel?«, fragte Fandorin, ohne den Baron anzusehen.
    »Sicherlich. Wahrscheinlich … Ich erinnre mich nicht. Was hat Wanjuchin abschließend gesagt? Was will er unternehmen?«
    Von den »Formalitäten« und dem bevorstehenden »freudigen Wiedersehen« sagte Fandorin nichts – er hatte keine Lust.
    Eine merkwürdige Geschichte. Irgend etwas stimmte nicht.
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Was wird morgen sein?«, fragte der Baron besorgt.
    »Morgen sage ich Ihnen, wer der Mörder ist.« Endlich sah der Kollegienassessor Herrn von Mack an.
    Er machte dem blassen Direktor eine knappe Verbeugung

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