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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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sich eine energische Falte eingegraben, eine Wange war schwarz verschmiert, aber am rührendsten fand Fandorin, wie das Fräulein in ihrer Selbstvergessenheit schniefte. Er bemühte sich nach Kräften, eine ernste Miene beizubehalten, aber das gelang ihm wohl nicht richtig.
    »Sie tun nur so, als wären Sie traurig«, sagte die Künstlerin vorwurfsvoll. »Aber in Ihren Augen hüpfen lauter Teufelchen. Wie ich die hinkriegen soll, ist mir rätselhaft.«
    Der arme Landrinow litt Höllenqualen. Die Schreibmaschine hämmerte doppelt so laut und schnell wie am Vortag, die Blätter wurden mit herzzerreißendem Knirschen aus dem lackierten Gehäuse gerissen. Die Blicke, die Landrinow gegen Fandorin schleuderte, hätten auch einem weniger empfindsamen Menschen Schauer über den Rücken gejagt.
    Der Direktor und sein Kammerdiener kamen an diesem Tag spät, erst gegen Mittag. Niemand stand auf, niemand grüßte. Fandorin wusste schon, dass es in der Firma »von Mack und Söhne« nicht üblich war, wegen höflicher Förmlichkeiten die Arbeit zu unterbrechen.
    Obwohl der Baron eigentlich gleich in sein Kabinett gehen wollte, blieb er doch am Tisch seines »Sekretärs« stehen. Er warf der Künstlerin einen flüchtigen Blick zu. Mawra senkte das Köpfchen und errötete allerliebst. Sie konnte also auch kokettieren?
    »Herr … Pomeranzew«, dem Direktor fiel nicht gleich der Name seines »Praktikanten« ein. »Wie viel Zeit brauchen Sie noch, um sich einzuarbeiten?«
    »Ich gebe mir alle Mühe«, antwortete Fandorin mit gespielter Schüchternheit und erhob sich leicht.
    »Kommen Sie nach dem Mittagessen zu mir«, sagte der Direktor finster und ging in sein Zimmer.
    Fedot Fedotowitsch hatte ihm den Mantel abgenommen, setzte sich dann auf seinen gewohnten Platz und schlug die Zeitung auf.
     
    In der Mittagspause geschah Folgendes.
    Serdjuk, dem Mawra wegen des Porträts kein Mittagessen von zu Hause brachte, ging ins nächste Wirtshaus. Taissi schnorrte bei Marja Tee. Landrinow wurde zum Baron gerufen. Fedot Fedotowitsch schlief, sein Schnurrbart zitterte.
    Zum ersten Mal waren Mawra und Fandorin mehr oder weniger allein.
    Das Fräulein rückte rasch näher an den »Studenten« heran, wobei sie ihn mit der Palette streifte (seit einer Stunde malte sie mit Farben), und flüsterte frohlockend: »Ich fahre doch nach Paris! Aber psst! Papa weiß es noch nicht.«
    Von allen Fragen, die sich dem Kollegienassessor bei dieser Mitteilung aufdrängten, stellte er für den Anfang die harmloseste: »Sie werden Malerei studieren? Ich freue mich für Sie.«
    »In Paris schneide ich mir die Haare ganz kurz, so wie Ihre«, sprudelte sie atemlos hervor. »Ich werde einen Männerhut und Hosen tragen, werde Zigarren rauchen und meinem Namen einen französischen Klang geben. Ich weiß auch schon wie: Maurice Sieurduc. Wissen Sie, was Sieurduc bedeutet?«
    »Ja.« Fandorin nickte mit ernster Miene. »Es bedeutet ›Herr Herzog‹.«
    »Toll, nicht? Das klingt doch ganz anders als ›Mawra Serdjuk‹.«
    »Aber woher nehmen Sie das Geld?«, erkundigte sich Fandorin nun nach dem Wichtigsten.
    Sie lächelte geheimnisvoll.
    »Na schön, ich sag’s Ihnen.«
    Aber dazu kam sie nicht mehr. Aus dem Kabinett trat Landrinow, und Mawra ging eilends auf Abstand.
    Dann kehrten auch die Übrigen zurück. Zu Fandorins Ärger ergab sich keine Gelegenheit mehr, das Gespräch fortzusetzen. Er überlegte, unter welchem Vorwand er das Fräulein ins Treppenhaus locken könnte, aber die Ereignisse nahmen eine Wendung, die ihn zwang, seinen Plan aufzugeben.
    Um viertel drei ging die Tür auf, und herein kam der Wirkliche Staatsrat Wanjuchin, begleitet von einem uniformierten Polizeistenographen.
    »Guten Tag, meine Herren«, sagte er mit fröhlicher und zugleichdrohender Stimme. »Da bin ich wieder. Ich hatte schon das Vergnügen, mich mit jedem einzeln zu unterhalten, jetzt möchte ich mit allen zusammen reden. Ich habe da eine kleine Frage. Wohin?!« Das galt dem Kammerdiener.
    »Dem Herrn Baron Bescheid sagen …«
    »Nicht nötig, später. Setz dich!«
    Fedot Fedotowitsch trat von einem Bein aufs andere und setzte sich wieder.
    »Und Sie da, ›Freund der Familie‹«, wandte sich Wanjuchin an Fandorin, »Sie kann ich hier nicht brauchen. Gehen Sie inzwischen spazieren.«
    »Wenn ich zu tun habe, pflege ich nicht spazieren zu gehen«, antwortete der Kollegienassessor kühl. Er dachte nicht daran hinauszugehen. Was mochte das für eine Frage sein?
    »Haben Sie auch zu

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