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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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tun?«, erkundigte sich Wanjuchin giftig bei der Malerin, nachdem er einen Blick auf die Staffelei geworfen hatte. »Ähnlich, sehr ähnlich. Wäre es Ihnen genehm, sich zusammen mit dem Gegenstand Ihrer Kunst hinauszubegeben?«
    »Es wäre mir nicht genehm«, konterte Mawra. »Sie sind hier nicht auf dem Polizeirevier, wo Sie herumkommandieren können.«
    Der Untersuchungsführer begriff, dass er auf Granit biss, und beachtete Fandorin und das Fräulein nicht mehr. Er griff sich einen Stuhl und stellte ihn mitten ins Zimmer. Dann setzte er sich rittlings darauf, stützte das Kinn auf die Rückenlehne und befahl dem Stenographen: »Jedes Wort.«
    Er nahm sich von Serdjuks Tisch das Glas mit den Farbstiften (selbstverständlich ohne zu fragen), zog einen Notizblock hervor und sagte grinsend: »Dann werde ich auch mal zeichnen.«
    Und er zeichnete wirklich etwas, während er jeden befragte, wobei er hin und wieder den Stift wechselte.
    Die »kleine Frage« bestand in Folgendem: Wer hatte am Abend des 6. September wie oft und zu welcher Zeit das Zimmer verlassen – bevor der vergiftete Tee getrunken wurde?
    Bald war klar, was Wanjuchin mit dem Gruppenverhör bezweckte. Wenn einer zögerte und sich auf sein schlechtes Gedächtnis berief, kamen ihm die anderen zu Hilfe.
    »Aber ja, Luka Lwowitsch, Sie geruhten mit dem Herrn aus der Expedition, wie heißt er gleich, so ein Rothaariger, hinauszugehen, das war direkt vor dem Bericht über den Brückenbau, also gegen viertel sechs.«
    »Nicht doch, Leander Iwanowitsch« (Serdjuk zu Landrinow), »Ihr Schreibmaschinenpapier ging nicht um fünf zu Ende, sondern viel später. Da habe ich gerade die Zahlen übertragen, das weiß ich noch genau.«
    Eine effektive Methode, das muss ich mir merken, sagte sich Fandorin, der dieser gemächlichen Untersuchung aufmerksam zuhörte. Erstaunlich, wie genau man ein Ereignis, das eine Woche zurückliegt, rekonstruieren kann, wenn mehrere Augenzeugen gleichzeitig befragt werden.
    Aber am meisten war Fandorin von Wanjuchin selbst beeindruckt. Nachdem dieser allen zugehört hatte, zeigte er das Resultat seines »Zeichnens« – eine chronologische graphische Darstellung, die in verschiedenen Farben die Anwesenheit und Abwesenheit eines jeden dokumentierte.
    Alle drängten sich um den Untersuchungsführer und betrachteten die Übersicht.
    »Interessant«, murmelte Wanjuchin.
    Fandorin trat von hinten heran, warf einen Blick über die Schulter des Ermittlers und sah, dass die bemerkenswerte Idee nichts gebracht hatte.
    Sollte Wanjuchin damit gerechnet haben, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen, so hatte er sich geirrt. Jeder der fünf Leute warzwischendurch, wenn auch nur ganz kurz, allein im Zimmer gewesen.
    Weshalb sah Wanjuchin dann so zufrieden aus?
    »Wunderbar!«, sagte er und streichelte liebevoll sein Werk. »Es war immer jemand im Zimmer, und sei es nur einer. Also ist die Version von dem Übeltäter, der von außen eingedrungen ist, völlig auszuschließen. Quod erat demonstrandum. Jetzt die zweite kleine Frage, wiederum an alle: Hat den verstorbenen Herrn von Mack einer seiner Angehörigen aufgesucht?«
    Ach, darauf will er hinaus, dachte Fandorin und kehrte auf seinen Platz zurück, zumal ihn Mawra mit ungeduldigen Gesten schon dazu aufforderte – sie wollte die Arbeit am Porträt fortsetzen.
    Niemand von der Familie war da gewesen, so war die einhellige Antwort, woraufhin Wanjuchin seine gute Laune einbüßte.
    »Was?!«, schrie er. »Das kann nicht sein! War denn nicht sein Sohn bei ihm, Sergej Leonardowitsch?«
    Alle wechselten schweigend Blicke, als wollten sie einander fragen. Die beiden Schriftführer zuckten die Achseln, was besagte, dass sie sich nicht erinnerten, Fedot Fedotowitsch schüttelte den Kopf, Marja stand an der Tür und kratzte sich den Hinterkopf.
    Da sagte Landrinow plötzlich: »Er war da. Ist hineingegangen und gleich wieder herausgekommen. Das war kurz vor Dienstschluss. Die anderen waren alle in der Küche – nachdem Marja die Kanne ins Kabinett gebracht hatte, schenkte sie uns Tee ein. Ich war als Einziger noch hier, weil ich ein Fläschchen Maschinenöl aus dem Schrank holen musste.«
    Er zeigte auf einen massiven Schrank neben dem Fenster.
    »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Wanjuchin sprang auf. »Ich habe doch gefragt, war jemand von der Familie hier oder nicht!«
    Landrinow zuckte die Achseln.
    »Sergej Leonardowitsch ist für mich ein Mitglied der Geschäftsleitung und keiner von der

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