Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
und ging hinaus.
Sich so zu irren!
Erst im Dunkeln verließ er das Gebäude. Erstens hatte er es nicht besonders eilig, in seine armselige Behausung zu kommen, zweitens wollte er als Letzter gehen, um die anderen bis zuletzt beobachten zu können.
Gleich hinter der ersten Ecke, als er von der belebten Kalantschewskaja-Straße in die menschenleere dunkle Olchowski-Gasse einbog, bemerkte Fandorin, dass er beschattet wurde. Jemand schlich hinter ihm her, von Zaun zu Zaun, bemüht, unentdeckt zu bleiben, aber konnte er einen Schüler der japanischen Shinobi täuschen?
Wahrscheinlich ein Schnüffler von Wanjuchin. Der hatte sicherlich Sergej von Mack unter Beobachtung gestellt und vielleicht beschlossen,für alle Fälle auch »den Freund der Familie« auszuspähen. Wenn das stimmte, war es uninteressant.
Aber auch eine andere Möglichkeit war nicht auszuschließen: Der Giftmörder interessierte sich für den neuen »Sekretär« und wollte herausfinden, was für ein Vogel der Student Pomeranzew war. Das wäre sehr gut.
Leider konnte man in der heruntergekommenen Gasse nicht die Hand vor Augen sehen.
Fandorin bog in eine Seitenstraße der Basmannaja ein; auch nicht gerade die Champs-Elysées, aber wenigstens warfen hier Gaslaternen bläuliche Lichtkreise.
Der Kollegienassessor hatte einen denkbar einfachen Plan: nicht erkennen lassen, dass er die Beschattung bemerkt hatte, den Spitzel nicht dingfest machen, sondern möglichst genau betrachten. Dafür musste Fandorin eine beleuchtete Stelle passieren, sich dann im Dunkeln umdrehen und warten, bis der Verfolger unter der Laterne auftauchte. Er war sich sicher, dass er jeden der Verdächtigen an der Silhouette erkennen würde. Und wenn er ihn nicht erkannte, war es ein Polizeischnüffler, und der konnte ihm folgen, solange er wollte.
Bei der ersten Laterne steckte sich Fandorin gemächlich eine Papirossa an, um seine Sorglosigkeit zu demonstrieren.
Die Schritte kamen näher. Da der Verfolger sehr vorsichtig auftrat, wohl auf Zehenspitzen ging, waren weder Geschlecht noch Körperbau nach dem Gehör zu bestimmen. Fandorin blieb stehen und wartete.
Plötzlich nahm er ein Geräusch wahr, das er überhaupt nicht erwartet hätte – das trockene Knacken eines Revolverhahns.
Hätte er nicht die Angewohnheit gehabt, in Minuten der Gefahr zuerst zu handeln und dann zu denken, so hätte er gezögert, und die Kugel hätte ihn in den Rücken getroffen. Aber er sprang blitzschnell zur Seite. Gleichzeitig mit dem Knall des Schusses platzte ein Holzsplitter aus dem Laternenpfahl.
Die Augen mussten sich erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen, und eine Waffe trug er nicht bei sich, denn mit einer solchen Wendung hatte er nicht gerechnet. Sich auf ein Handgemenge mit einem bewaffneten Verbrecher einzulassen, war zu riskant. Sollte der erst einmal alle Kugeln verschießen.
Der Beamte rannte los, im Zickzack und den beleuchteten Stellen ausweichend. Schlecht war, dass der Unsichtbare keine Eile hatte, zu schießen. Offensichtlich ein kaltblütiger und erfahrener Mann – er zielte auf die laufende Gestalt und wollte mit dem nächsten Schuss treffen.
Fandorin stieß sich von der Erde ab und sprang über den Bretterzaun des nächsten Vorgartens.
Im Dunkeln ertastete er einen Stein von knapp einem halben Pfund. Dank seiner ausgefeilten Wurftechnik konnte er auf zwanzig Meter Entfernung eine Taube im Flug treffen (auch das hatte er in seiner japanischen Lehrzeit erlernt). Die Schwierigkeit bestand nicht in der Treffsicherhit, sondern in der Berechnung der Wurfstärke – die Taube sollte betäubt zur Erde fallen, aber noch leben.
Er saß mindestens eine Viertelstunde in seinem Hinterhalt, aber der Gegner zeigte sich nicht. Ein paarmal schaute der Beamte auf die Straße – vorsichtig, immer von einer anderen Stelle. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, aber der Verfolger war wie vom Erdboden verschluckt.
Ein jämmerliches Fazit: Während er im Zickzack über die Straße sprang und den Vorgarten stürmte, war der Verbrecher in die entgegengesetzte Richtung gerannt.
Fluchend kletterte Fandorin wieder auf die Straße und ging zu dem Laternenmast, um die steckengebliebene Kugel herauszupolken. Die musste er zu Hause untersuchen, bei Lampenlicht und mit Lupe. Nach Fußspuren zu suchen, war sinnlos – wie sollten auf dem Pflaster welche zu sehen sein?
Auf dem Heimweg versuchte er, das unverhoffte und unangenehme Erlebnis zu analysieren.
Der Verbrecher war
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