Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Richtlinien ›Über Verhaftungen und administrative Festnahmen‹ erkläre ich Sie …«
»Warten Sie, Ljachow!«, sagte Fandorin laut.
Alle drehten sich um.
»Erast Petrowitsch?«, staunte der Oberstleutnant, der schon dienstlich mit dem Kollegienassessor zu tun gehabt hatte.
»Fandorin!«, ächzte Steinchen (der jeden kannte). »Das ist ja interessant!«
Die Übrigen starrten den Frechling an, der es gewagt hatte, einem Vertreter des Gesetzes einen Befehl zu erteilen.
»Fandorin, Beamter für Sonderaufträge beim Moskauer Generalgouverneur«, erklärte er weniger Wanjuchin als vielmehr seinen zeitweiligen Kollegen. »Bitte entschuldigen Sie meine M-Maskerade. Ich führe im Auftrag des Fürsten Dolgorukoi eine unabhängige Ermittlung durch.«
Letzteres war an den Petersburger gerichtet, der den jungen Mann anglotzte.
»Eine Intrige? Eine Verschwörung?«, schrie Wanjuchin. »Das melde ich dem Direktor des Departements! Dem Minister! Der Fall wurde mir übertragen, ich will nichts weiter hören! Festnehmen! Sind Sie taub?« schnauzte er Ljachow an und zeigte auf den Baron.
Die Stimme gegen den verdienstvollen und ehrgeizigen Offizier Ljachow zu erheben, war ein großer Fehler. Der Oberstleutnant machte ein trotziges Gesicht.
»Herrn Fandorin kennen wir, und nicht erst seit gestern. Aber mit Euer Exzellenz hatten wir noch nicht die Ehre zu arbeiten.«
»Verstehe.« Wanjuchin lachte furchteinflößend auf. »Von den Moskauer Sitten habe ich schon gehört! Sie sind bestochen? Gut, dass ich einen Vertreter der Presse mitgebracht habe. Schreiben Sie, Herr Reporter, schreiben Sie!«
Doch der Vertreter der Presse hatte aufgehört zu schreiben und sogar sein Heft weggesteckt. Mit dem Generalgouverneur wollte sich Steinchen nicht anlegen.
»Euer Exzellenz, wir sind beide Diener des G-Gesetzes und keine Primadonnen«, sagte Fandorin ärgerlich. »Kommen wir zurSache. Sie haben eine Version, ich lege Ihnen eine andere dar. Sie sind ein erfahrener Profi und können einschätzen, welche stichhaltiger ist.«
Ob es am Ton lag, in dem diese Worte gesagt wurden, oder an der Erwähnung des Professionalismus, es wirkte.
»Fandorin? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, ich muss schon von Ihnen gehört haben«, sagte Wanjuchin einlenkend, kreuzte die Arme und umfasste mit den Händen seine Schultern. »Na schön, legen Sie Ihre Version dar. Wir hören.«
»D-Danke. Ich war von Anfang an überzeugt, dass Sergej von Mack unschuldig ist. Sie, verehrter Herr Kollege, ließen sich bei Ihrer Ermittlung von der ehrwürdigen Maxime leiten: Wem nützt es. Ich habe auch damit begonnen. Wenn man bei dem Erben ein eigennütziges Motiv voraussetzt, nämlich das Bestreben, so schnell wie möglich die Firma zu übernehmen, so ergibt das keinen Sinn. Der Tod Leonard von Macks hat das Unternehmen um einen gigantischen Auftrag gebracht. Wenn Sergej von Mack verbrecherische Absichten gegen seinen Vater gehegt hätte, wäre es vernünftig gewesen, noch zwei, drei Wochen zu warten, bis das Ergebnis der Ausschreibung bekanntgegeben wird. Nach Ihrer Version aber hätte der Erbe ein schreckliches Verbrechen zu seinem eigenen Schaden und zum Nutzen des Hauptkonkurrenten, der ›Dampfergesellschaft‹, begangen.«
»So urteilt ein Krämer, aber kein Ermittler«, sagte Wanjuchin giftig. »Wo ist denn Ihrer Meinung nach der Giftmörder hergekommen? Ist er durch die Fensterklappe geklettert und dann spurlos verschwunden? Vielleicht hat es auch gar keinen Mord gegeben? Der Direktor und sein Sekretär haben Selbstmord begangen? Das ist ja, wie ich las, bei Ihnen in Japan so üblich und nennt sich ›Doppelselbstmord Verliebter‹.«
Aus dem letzten Satz ging hervor, dass Wanjuchin recht gut über den Moskauer Ermittler unterrichtet war.
»Es hat einen Mord gegeben«, sagte Fandorin, als bemerke er den Spott nicht. »Einen raffiniert berechneten. Aber als Beweggrund gilt nicht ›wem nützt es‹, sondern eine ganz andere Maxime.«
»Und wer ist Ihrer Meinung nach der Mörder?« Wanjuchin lächelte ironisch. »Oder läuft Ihre Version lediglich darauf hinaus, Herrn von Mack reinzuwaschen?«
Da ließ sich Fandorin zu einer Effekthascherei hinreißen, nicht zuletzt, weil er den Blick der jungen Künstlerin auf sich spürte. In beiläufigem Ton, als verstünde sich das von selbst, ließ er fallen:
»Der Mörder ist dieser Mann da.« Er zeigte auf Landrinow.
Ein Aufstöhnen ging durch den Raum. Landrinow sprang so heftig auf, dass er seinen
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