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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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steckte sie in die Hosentasche.
    »Ich warte auf Beweise«, mahnte Wanjuchin. »Bis jetzt ist es nur Psychologismus.«
    »Gleich, Euer Exzellenz, kommen wir zu den Fakten. Doch zuvor noch ein paar Worte zu Ihrer Version, Herr von Mack«, wandte sich Fandorin an den Direktor. »Sie glauben, der Mord sei von einem Agenten der ›Dampfergesellschaft‹ verübt worden. Sie haben recht mit der A-Annahme, dass es hier einen Spion von der Konkurrenz gibt, aber der hat nicht Ihren Vater getötet.«
    »Wer ist es?«, fragte der Baron lebhaft.
    Ohne Taissi anzusehen, sagte Fandorin: »Das teile ich Ihnen morgen mit. Falls er nicht von selbst kündigt. Fanden Sie es nicht seltsam, Herr Wanjuchin, dass der Millionär mit einem billigen Gift getötet wurde?«
    Wanjuchin zuckte die Achseln.
    »Dazu habe ich mich schon geäußert. Das ist ja eben der Clou, dass Arsen leicht erhältlich ist. Der Kauf von Cyanid oder einem anderen ›aristokratischen‹ Gift hätte sich durch Befragen der Apotheker mühelos zurückverfolgen lassen. Aber versuchen Sie mal herauszufinden, wie viele Leute in letzter Zeit Rattengift gekauft haben. Daran wird sich kein Apotheker erinnern.«
    »Ich denke, das ist nicht der Punkt. Landrinow konnte sich teures Gift nicht leisten. Das habe ich gestern Abend begriffen, als ich die Kugel untersuchte, die der V-Verbrecher auf mich abgeschossen hat.« Fandorin zog ein Taschentuch hervor, in das ein leicht abgeplattetes Stückchen Blei gewickelt war. »Eine runde Kugel aus einer einschüssigen, nicht gezogenen Pistole. Eine solche Waffe bekommt man auf dem Trödelmarkt für anderthalb Rubel. Das billigste Gift, die billigste Pistole – alles recht unsolide. Hätte Mossolow seinen Spion nicht besser ausstatten können? Und ich begriff: Der Mörder ist ein armer Mann mit sehr geringen Mitteln und sehr großer Leidenschaft.«
    Fandorin machte noch ein paar Schritte auf Landrinow zu, so als wolle er den anklagenden Finger malerisch auf den Verbrecher richten. In Wirklichkeit beobachtete er ihn angespannt und wartete darauf, dass er sich verriet.
    Landrinows Lippen bebten, seine Schultern zuckten, aber nicht vor Angst, sondern vor Wut. Lange würde sich dieser Hitzkopf nicht mehr beherrschen können. Gleich würde er handgreiflich werden. Er knirschte schon mit den Zähnen.
    Der Kollegienassessor wandte ihm absichtlich den Rücken zu,um ihm den Angriff zu erleichtern. Jetzt war nur noch Taissis Tisch zwischen ihnen.
    »Weshalb soll er denn auf Sie geschossen haben?«, fragte Wanjuchin, der seine Niederlage noch nicht wahrhaben wollte.
    »Ich weiß!«, antwortete an Fandorins Stelle Mawra. »Wegen des Porträts. Und wegen des Taschentuchs …«
    »Was denn nun noch für ein Taschentuch?«, fragte Wanjuchin befremdet.
    Aber da trat endlich das Ereignis ein, auf das der Anhänger der »psychologischen Schule« wartete.
    Mit einem Schrei sprang Landrinow vor, in der Hand hielt er plötzlich ein geöffnetes Rasiermesser.
    Fandorin drehte sich rasch um. Doch nun zeigte sich, dass er die psychologische Wissenschaft noch nicht perfekt beherrschte.
    Er war überzeugt gewesen, dass sich der Mörder auf ihn, seinen Ankläger, stürzen würde, aber Landrinow stürmte an Taissis Tisch vorbei auf Mawra zu.
    »Deinetwegen! Alles deinetwegen!«, krächzte er und holte mit dem Messer aus. »Deinetwegen geh ich zugrunde!«
    Mawra wich zurück, nur das rettete sie vor dem Tod – die scharfe Klinge sauste an ihrem Hals vorbei durch die Luft.
    Die Ärmste presste sich an die Wand, Landrinow packte sie an den Haaren und bog ihren Lockenkopf zurück.
    Alle im Zimmer waren wie versteinert.
    Fandorin begriff, dass er es nicht mehr schaffte. Bei Bedarf konnte er sich mit fast unglaublicher Geschwindigkeit fortbewegen, aber Serdjuks Tisch, bedeckt von Tintenfässern, Gläsern mit Bleistiften, Papierstapeln, Aktenordnern und sonstigem Bürokram, versperrte ihm den Weg.
    »Wenn nicht ich, dann keiner!«, brüllte Landrinow und holte wieder aus.
    Die japanische Kampfwissenschaft schreibt vor: Die Tat muss dem Gedanken zuvorkommen.
    Die Hand des Kollegienassessors, die sich von selbst zu bewegen schien, griff ein Tintenfass vom Tisch und schleuderte es, ohne auszuholen, von unten nach oben, aber dennoch mit Kraft.
    Der gläserne Würfel traf den Verbrecher am Hinterkopf, violette Spritzer sprenkelten Hals und Rücken. Landrinow drehte sich verdutzt um, da traf ihn ein zweites Tintenfass, diesmal an der Stirn und gefüllt mit roter Tinte, mit

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