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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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spätestens im kommenden Frühling, wenn eine Eisenbahnlinie durch den Landkreis verlegt wurde.
    »Können Sie sich vorstellen, was dann passiert, lieber Anissi Pitirimowitsch?« Der Vorsitzende drehte sich um und packte den jungen Mann vor Begeisterung am Arm; Tulpow krümmte sich,denn der Griff des Enthusiasten war nicht von Pappe. »Heute kräht kein Hahn nach uns mit unseren kleinen Gewerben und den Mischwäldern. Aber wenn man erst mit allem Komfort von Moskau nach Baskakowka fahren kann, werden sich hier Sommerfrischler ansiedeln. Eine gesegnete Unterart des homo sapiens! Sie bringen Geld, gute Straßen, Arbeit für die einheimische Bevölkerung! Trunksucht und Bettelei werden schlagartig verschwinden, Krankenhäuser und Milchwirtschaften werden entstehen. In zwei, drei Jahren wird unser Landkreis nicht wiederzuerkennen sein!«
    »Darum haben Sie Baskakowka wohl als Landifundium bezeichnet?«, wiederholte Tulpow lässig das wohlklingende Wort, in der Hoffung, es sich richtig gemerkt zu haben.
    Wie sich zeigte, nicht ganz – Blinow verbesserte ihn: »Latifundium. Was war denn Baskakowka bislang? Zweitausend Desjatinen ausgelaugtes Land, eingeklemmt zwischen dem Faulen Moor und dem Brachland an der Mokscha. Papachin (ein hiesiger Geschäftsmann) hatte der Besitzerin für den gesamten Grund und Boden dreißigtausend geboten, und auch das in Raten. Aber bald werden daraus zweitausend Sommergrundstücke! Und jedes lässt sich für mindestens tausend Rubel verkaufen.«
    »Zwei Millionen!«, rechnete Tulpow rasch aus und pfiff durch die Zähne.
    »Vorsichtig gerechnet. Diese Millionen haben Warwara Iljinitschna denn auch den Verstand getrübt.«
    »Der Besitzerin?« präzisierte Tulpow.
    »Ja, seit neuestem. Noch vor einem Monat war sie die Pflegetochter der Eigentümerin Sofja Baskakowa, hat hier im Grunde als Kostgängerin gelebt. Die verstorbene Frau Baskakowa hat sich nichts gegönnt und ihre geringen Einnahmen ihrem einzigen Sohn Sergej nach Kuschka geschickt, wo er bei den Gebirgsjägern diente. Ich war oft in ihrem Haus. Stellen Sie sich vor – manches Mal gab es zum Tee nur Zwieback mit Preiselbeerkonfitüre.«
    Bei dem Wort »verstorbene« straffte sich Tulpow, wie ein Rabe, der unter einer Bruchweide auf freiem Feld die ersehnte Beute erspäht hat. Plötzlicher Reichtum – das war im kriminalistischen Sinn sehr vielversprechend oder, wie sich der Chef ausdrückte, von perspektivischer Bedeutung.
    »Was ist der alten Frau denn zugestoßen?«, fragte er einschmeichelnd. Dabei dachte er: Das Beste wäre, man hätte die Gutsbesitzerin umgebracht, auf möglichst rätselhafte Weise, dann hätte ich wenigstens nicht umsonst den ganzen Tag Staub geschluckt.
    »Was denn? Hat Herr Fandorin Ihnen das nicht gesagt?« Blinow staunte, und Tulpow musste nun so tun, als hätte er die Frage rein rhetorisch gestellt, als hätte er nur laut nachgedacht.
    »Alt war sie keineswegs«, erwiderte Blinow, »erst so Mitte vierzig, und sie hatte eine eiserne Gesundheit. Und ihr Sohn Sergej, der war ein wahrer Recke mit breiten Schultern. Alte Baskakowsche Rasse. Und dass Frau Baskakowa ihre Pflegetochter als Erbin einsetzte, geschah in einem Anflug von Rührung und weil sie zum erstenmal im Leben krank war …«
    Der Rabe stürzte wie ein Stein vom Himmel herab auf seine Beute.
    »Sie hat sie als Erbin eingesetzt?«
    »Nun ja. Voriges Jahr ist Frau Baskakowa aus der Kutsche gefallen – das Pferd war durchgegangen – und hat sich verletzt. Eine Woche hat sie gelegen, dann war sie wieder auf den Beinen und gesünder als je zuvor. Aber auf dem Krankenlager hatte sie das Abendmahl empfangen und ein Testament aufgesetzt. Natürlich vermachte sie alles ihrem einzigen Sohn, aber in einem Zusatz schrieb sie: Sollte ihr Sohn sterben, ohne Nachkommen gezeugt zu haben, so ist die Pflegetochter Warwara die Erbin. Die hat sich wirklich sehr um sie gekümmert: Umschläge gemacht, Kräuter aufgebrüht. Da wollte Frau Baskakowa ihr etwas Gutes tun. Und dann ging der Hokuspokus los …«
    Blinow ruckte an den Zügeln, um das Pferd anzutreiben – es war schon fast dunkel, und im Dickicht stieß ein Vogel schadenfrohe Laute aus.
    »Was für ein Hokuspokus?«, fragte Tulpow.
    »Urteilen Sie selbst. Voriges Jahr, als das Testament geschrieben wurde, war Frau Baskakowa noch eine gut erhaltene Person in den besten Jahren, wenn auch ihr Rücken voller Blutergüsse war. Sie hatte einen gesetzmäßigen Erben, einen rotwangigen Leutnant mit mächtigem

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