Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Schnurrbart, und zu vererben gab es, unter uns gesagt, nichts Besonderes. Vor einem Monat traten Schlag auf Schlag drei Ereignisse ein – zwei betrübliche und ein erfreuliches, wonach sich alles änderte … Krickenten, überm Sumpf rufen Krickenten«, murmelte der Vorsitzende plötzlich, und sein Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an. »Eine ganz seltene Sorte. Hier gibt es viele unikale Vogelarten. Die wildernden Bauern haben fast alle ausgerottet, aber jetzt – jedes Übel hat auch sein Gutes – steckt niemand mehr die Nase in den Sumpf, und die Krickenten haben sich vermehrt. Bald kann ich wieder mit der Flinte losziehen. Ich habe jenseits vom Sumpf mein Haus, die Ruine des Familiennestes. Da ich immer ehrenamtlich unterwegs bin, kann ich mich nicht um die Wirtschaft kümmern. Und was ist das schon für eine Wirtschaft.« Blinow machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich würde sie ganz aufgeben, wenn nicht die Natur wäre und die Jagd. Haben Sie auch Ihren Spaß daran?«
    »An der Jagd?« Tulpow runzelte die Stirn, unzufrieden, dass Blinow von dem wichtigen Thema ablenkte. »Nein.«
    »Aber ich.«
    »Sie erwähnten betrübliche und erfreuliche Ereignisse«, lenkte Tulpow den undisziplinierten Erzähler wieder aufs Eigentliche.
    »Ja, ja. Zuerst kam eine traurige Nachricht aus dem Pamir. Leutnant Baskakow war bei einem Geplänkel mit Afghanen gefallen. Seine Mutter erlitt vor Erschütterung einen Herzanfall.Und drei Tage später trat das ein, na ja, weshalb Sie hergekommen sind.«
    Blinow senkte die Stimme, obwohl weit und breit keine Menschenseele war, Tulpow aber zürnte wieder seinem Chef. Wie konnte der seinen ergebenen Assistenten nur so im Dunkeln lassen?
    »Kaum war Frau Baskakowa beerdigt, kaum hatte Warwara Iljinitschna ihr unverhofftes Erbe angetreten, da verbreitete sich die Kunde von der Eisenbahn.«
    »Und die Erbin?«, fragte Tulpow neugierig. »Die muss doch nach all den Ereignissen außer sich gewesen sein, oder? Erst bettelarm, und plötzlich Millionärin.«
    »Anfangs war sie eher erschrocken. Sie suchte bei mir Trost und Rat – ich war damals ihr engster Vertrauter. Ich muss Ihnen sagen, dass Warwara Iljinitschna früher eine selbstlose Gesinnung hatte. Sie wollte dem Volk und der Gesellschaft dienen, wollte Lehrerin oder Hebamme werden. Wie oft haben wir beide vom Aufblühen unserer bescheidenen Gegend geträumt, es musste nur irgendein Wunder geschehen – ein Werk wird gebaut, oder ein weitsichtiger Industrieller beschließt, die Sümpfe trockenzulegen, oder ein Reicher, der aus dieser Gegend stammt, vermacht seinem Heimatkreis hundert- oder zweihunderttausend …« Blinow seufzte, und Tulpow sah folgendes Bild vor Augen: der vom Leben schon etwas gerupfte, aber noch in Säften stehende Diener der Gesellschaft und das bescheidene, hübsche Fräulein, stille Abende, ein altehrwürdiger Gutshof. Ohne romantische Begeisterung ging es hier nicht.
    »Und? Hat die reich gewordene Warwara IIjinitschna es sich mit dem Aufblühen des Heimatkreises anders überlegt?«
    »Nicht sofort.« Blinow seufzte noch bekümmerter. »Zuerst hat sie versichert, dass sich nichts geändert hat. Sie hat sogar ein Testament geschrieben: Im Falle meines Ablebens soll mein ganzes Vermögen zum Wohl der Pachrinsker Gesellschaft verwendet werden …«
    »Leere Worte.« Tulpow lachte auf. »Das Fräulein ist doch noch jung.«
    Der Vorsitzende blickte sich kurz nach dem Moskauer Gast um.
    »Nein, mein verehrter Anissi Pitirimowitsch, keine leeren Worte. Warwara Iljinitschna hat nämlich die Schwindsucht. Sie war sich immer sicher, jung zu sterben. Darum ihre Opferbereitschaft, darum ihre Uneigennützigkeit. Jetzt kommen natürlich die Aasgeier angeflogen. Jegor Papachin hat ihr nicht dreißigtausend, sondern viel mehr für das Anwesen geboten. Und der tatarische Bauunternehmer Machmetschin, der in den Baskakowschen Wäldchen ein Sanatorium für Kumys-Kuren bauen will, hat Papachins Offerte noch überboten. Sie haben der Frau den Kopf verdreht und ihr eingeredet, in der Schweiz könne sie von der Schwindsucht geheilt werden, haben ihr von Paris und Menton vorgeschwärmt … Und ich bin zur persona non grata geworden.«
    Die Straße war kaum noch zu sehen – nur undurchdringliches Gebüsch zu beiden Seiten, und in dem Spalt zwischen den Wipfeln hoher Kiefern ein Streifen schwarzer Himmel, an dem Sterne glitzerten.
    Das Pferd schnaubte plötzlich und scheute, und Tulpow blieb das Herz stehen. Vorn am

Weitere Kostenlose Bücher