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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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berauscht sich an seiner vermeintlichen Macht. Das ist ein sehr starkes Gefühl, das ständige Nahrung braucht. Ich kann tun, was ich will, das Gesetz ist machtlos gegen mich, sagt sich der Wahnsinnige. Er lässt an einem belebten Platz eine Höllenmaschine zurück, in der Gewissheit, dass ernie aufgespürt wird, weil man nach Terroristen suchen wird. Oder er schüttet, teuflisch lachend, auf einem Empfang Gift in eins der auf einem Tablett stehenden Gläser, bloß um zu sehen, welchen der Gäste das Verhängnis auswählen wird.
    Von dieser irrwitzigen Position aus wäre es für den Täter sicherlich ein atemberaubendes Vergnügen, am helllichten Tag einen Menschen zu erschießen, den er kaum kannte, noch dazu einen Fürsten, und ungeschoren davonzukommen. Sollte es nicht gelingen, die heimtückische Absicht nachzuweisen, so hatte der Mörder tatsächlich kaum etwas zu befürchten. Grässlich, sich vorzustellen, was für ein Vergnügen er sich das nächste Mal ausdenken würde.
    Der Fall sah hoffnungslos aus. Der Urteilsspruch des Gerichts ließ sich voraussagen: Nach Anhörung des Angeklagten und einzigen Zeugen würde der Vorsitzende Richter verfügen, das Verfahren wegen Mangels an Beweisen einzustellen und auf den Angeklagten die zahnlose juristische Formulierung »bleibt unter Verdacht« anzuwenden. Aber wahrscheinlich würde Kulebjakin ein Geschworenengericht verlangen, und die wortgewandten Advokaten würden einen völligen Freispruch für ihn erreichen.
    Nein, nein, die Möglichkeit, den Mörder zu entlarven, bestand nur hier, in Petersburg, und Fandorin war fest entschlossen, die Chance zu nutzen.
     
    Da die Sache nach der Exhumierung eine ernste Wendung genommen hatte, wagte keiner der drei überlebenden Teilnehmer der verhängnisvollen Mahlzeit, sich zu weigern, obwohl sie alle solide, vielbeschäftigte Männer waren.
    Bankdirektor Frank vertagte eine Vorstandssitzung. Geheimrat Ljubuschkin verschob eine Dienstreise. Professor Bukwin kam eigens aus Moskau angereist; er hatte zwei Wohnsitze, ordinierte und operierte bald in der ersten, bald in der zweiten Hauptstadt.
    Koch und Kellner waren ebenfalls anwesend.
    Man setzte sich, Fandorin nahm den Platz des Verstorbenen ein. Es dauerte alles sehr lange, weil der Ermittler darauf bestand, das Abendessen bis ins Kleinste wiedererstehen zu lassen, und die Teilnehmer gerieten ständig in Streit.
    »Nein, erlauben Sie, Euer Exzellenz«, sagte der Bankier, »ich erinnere mich genau – zuerst haben Sie einen kleinen Borstsch gegessen und dann von der Pastete gekostet.«
    Ein Polizeiagent, der in die Küche abgestellt war, verfolgte jeden Handgriff des Kochs, der genau die gleichen Gerichte kochen musste.
    Ein anderer Agent folgte wie ein Schatten dem Kellner.
    Staatsrat Fandorin gewann den Eindruck, dass es am einfachsten gewesen sein dürfte, das Gift in den Ebereschenschnaps zu tun, dessen natürliche Bitterkeit den Beigeschmack des Gifts überdeckt hätte. Doch die Augenzeugen behaupteten einhellig, dass Kulebjakin nie alkoholische Getränke zu sich genommen hätte.
    Sie rekapitulierten die Tischgespräche, aber auch hier bot sich kein Anhaltspunkt. Das Essen war zu Ehren Bukwins arrangiert worden, der in den Klub eintreten wollte. Die Vorstandsmitglieder Frank und Ljubuschkin kannten den Arzt seit langem, der alte Kulebjakin sah den Professor zum ersten Mal. Sie sprachen über Segel und Jachtmodelle, über Weine, über die russische Anleihe in Frankreich, über die Gesundheit (wie immer, wenn ein Arzt zugegen ist). Es hatte keine Auseinandersetzungen, keinen Streit gegeben.
    Fandorin beobachtete, hörte aufmerksam zu und verdüsterte sich immer mehr. Hatte er das Experiment umsonst unternommen?
    Den letzten Schlag versetzte ihm der Arzt. Das geschah, als der Kellner einen Teller mit Trockenfrüchten brachte und vor Fandorin hinstellte mit den Worten: »Das verlangten der Herr vor dem Sterlet.«
    Da schlug der Professor mit der Hand auf den Tisch.
    »Vergiftung durch Blausäure, sagten Sie?«, rief er so laut, dassalle zusammenzuckten. »Ja natürlich! Ein unverzeihlicher Fehler für einen Arzt mit dreißigjähriger Erfahrung! Die Symptome ähneln sich aber auch zu sehr: stechender Schmerz, hier an der Stelle, Schwindel, Übelkeit, qualvolle Atemnot, bald darauf Herzstillstand. Herr Kulebjakin hat während des Essens noch über Angina pectoris geklagt … Doch ich will mich nicht rechtfertigen, ich habe mich geirrt, tut mir leid. Auch der Gescheiteste macht mal

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