Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
einem Menschen. Es brennt im Innern.«
Und er begann verworren, fieberhaft: »Herrgott, wie ich ihn hasse! Diese dumme, hübsche Fratze, diesen sieghaften Blick! Wie konnte sie bloß! Bei ihrer Keuschheit, ihrer fein empfindenden Seele!«
Seine Erzählung war nicht besonders aufregend: die übliche Geschichte eines nicht mehr jungen Mannes, der die Dummheitbesessen hat, aus kopfloser Liebe ein junges Fräulein zu ehelichen. Natürlich hat sie sich mit der Zeit in einen anderen verliebt, einen Moskauer Schönling mit dem Ruf eines notorischen Herzensbrechers.
»Sie hat keine Schuld«, beteuerte der Ältere seinem Gesprächspartner, der mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. »Nur er, der teuflische Verführer. Wenn er doch verrecken wollte! Oder noch besser, wenn ich ihn mit meinen eigenen Händen umbringen könnte! Ohne dass es für mich Folgen hat!«, murmelte er und merkte nicht, dass ihm Tränen übers Gesicht rannen.
Hier unterbrach der Jüngere die langweilige Beichte des Gehörnten.
»Hören Sie zu«, sagte er nach einem Blick zur Tür und senkte die Stimme. »Uns hat das Schicksal zusammengeführt. Sie können Ihren Beleidiger loswerden. Und es wird für Sie keine Folgen haben. Ehrenwort.«
»Warum verspotten Sie einen Mann, der vor Leid den Verstand verliert?«, fragte der Ältere traurig. »Das ist grausam.«
»Ich verspotte Sie nicht!« Der Jüngere war so aufgeregt, dass er kaum ein Zittern unterdrücken konnte. »Hören Sie zu, ohne mich zu unterbrechen! Den Verführer Ihrer Frau töte ich. Dafür töten Sie den Mann, der mir das Leben vergällt! Meinen Onkel, einen habgierigen, herzlosen Gobseck! Wir helfen uns gegenseitig! Sie bekommen Ihre Frau zurück, und ich werde reich.«
»Das sagen Sie jetzt unter dem Einfluss des Cognacs, und wenn Sie wieder nüchtern sind, springen Sie ab«, antwortete der Ältere nach kurzem Überlegen. »Was ist die Gier nach Reichtum gegen die Qual des gekränkten Herzens? Wenn Sie wenigstens am Verhungern wären, aber Sie reisen in der ersten Klasse, tragen eine Krawattennadel mit einem Brillanten.«
Der Jüngere zog die Nadel aus der Krawatte und schleuderte sie wütend auf den Tisch.
»Alles Blendwerk, mein Leben lang bin ich verschuldet! Der Brillant wandert morgen ins Leihhaus – sonst muss ich ins Gefängnis. Glauben Sie mir, ich bin nicht betrunken. Und ich stehe zu meinem Wort. Wenn ich Ihren Feind töte, werde ich mir vorstellen, dass es mein werter Onkel ist. Und Sie stellen sich vor, dass mein Onkel Ihr Beleidiger ist. Aber warten Sie«, sagte er plötzlich zweifelnd, nachdem er das harmlose Äußere seines Gegenübers gemustert hatte. »Sind Sie überhaupt fähig zu einem Mord?«
»Ich habe keine Wahl. Sonst werde ich verrückt oder lege Hand an mich … Ihre Idee gefällt mir.« Der Ältere wurde mit jeder Minute ruhiger, seine Stimme klang zuversichtlich. »Das wird ein idealer Doppelmord. Etwas Ähnliches ist in einem amerikanischen Roman beschrieben, dessen Titel ich vergessen habe. Kein Motiv, keine Verbindung zwischen Täter und Opfer. Der Fürst kennt Sie nicht, Ihr Onkel kennt mich nicht. Sollte einer von uns in Verdacht geraten, ist eine vorsätzliche Tötung nicht nachzuweisen. Die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags beträgt ein Zehntel Prozent, wenn besonders ungünstige Umstände zusammentreffen. Das bin ich bereit zu riskieren. Und Sie?«
Statt einer Antwort streckte ihm der Jüngere die Rechte hin. Es folgte ein kräftiger Händedruck.
»Dann erzählen Sie mir von Ihrem Onkel.« Der Ältere schlug ein Notizbüchlein auf. »Lebensweise, Gewohnheiten. Besonders was die Ernährung angeht. Wissen Sie, ich bin Arzt, für mich ist Gift die einfachste Methode. Was isst Ihr Onkel am liebsten?«
»Weiß der Teufel. Obwohl, warten Sie. Der alte Trottel hat eine Vorliebe für Aprikosenkerne. Wenn kein Nussknacker zur Hand ist, zerbeißt er die Schale mit den Zähnen. Ein widerlicher Anblick: Er zerteilt die Frucht und steckt mit glänzenden Fingern den Kern in den Mund …«
6
Der Privatdozent (immerhin kein Adjunkt) peinigte Fandorin mit seiner todlangweiligen Geschichte von den Intrigen am Lehrstuhl für Theologie. Fandorin tat, als höre er zu, während er die Perlen seiner chinesischen Jadekette durch die Finger gleiten ließ.
In der zweiten Stunde der dramatischen Erzählung verspürte er unüberwindliche Schläfrigkeit. Er sank für einen Moment weg und fuhr von einem leisen Geräusch sogleich wieder hoch. Die Kette war
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