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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Gestern ist er auf die Idee gekommen, heimlich den Sohn in den Kreis zu schicken, mit dem Abschiedsbrief, den der Zimmermann hinterlassen hat. Da sind die Behörden hergeeilt, doch was soll’s …«
    Fandorin entfaltete das gelbliche Blatt, das mit altertümlichen Buchstaben vollgeschrieben war wie ein altes Buch.
    Der Text lautete:
    »
Eure neue Verordnung nebst Stammregister entfremden uns vom wahren christlichen Glauben und führen uns zur Verleugnung des Vaterlands, unser Vaterland aber ist Christus. Unser Herr sagt in seinem heiligen Evangelium: ›Wer nun mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem
himmlischen Vater.‹ Darum verkünden wir euch kurz und endgültig, dass wir den wahren Gott unsern Herrn Jesus Christus nicht wollen verleugnen noch uns abwenden von unserm christlichen Glauben, und was die Heiligen Väter in den heiligen Kirchen anerkannt haben, das erkennen auch wir an, und was die Heiligen Väter und die Apostel verfluchten und verwarfen, das verfluchen und verwerfen auch wir. Euren neuen Gesetzen können wir niemals gehorsam sein, darum wünschen wir lieber für Christum zu sterben.«
    Kochanowski, der über Fandorins Schulter hinweg mitgelesen hatte, rief mit Leidensmiene: »Wieso Verleugnung Christi? Das mit der Verordnung haben sie sich ausgedacht! Ein ungeheuerliches Missverständnis! Ich war doch im Dezember selber hier, und wir haben über alles ausführlich …«
    »Der Zimmermann, war er ein B-Bücherwurm?«, fragte Fandorin, den gefühlvollen Statistiker unterbrechend. »Er zitiert das kirchenslawische Evangelium, und die Handschrift ist beinahe kalligraphisch.«
    »Hier gibt’s in jedem Hause alte Bücher, die mit der Hand abgeschrieben wurden.« Kryshow betrachtete die Schrift interessiert. »Sieh mal an, ›Euren neuen Gesetzen können wir nicht gehorsam sein‹. Das ist ein Ding.«
    Vom Hof her kam ein forscher Wachtmeister mit erdverschmiertem Uniformmantel.
    »Euer Wohlgeboren!« Er salutierte vor dem Polizeichef. »Wir haben sie wohl alle rausgeholt. Gut, dass es so warm ist, da ist die Erde weich, sonst hätten wir bis zur Dunkelheit zu tun gehabt. Kommen Sie bitte.«
    Die Beamten gingen vornweg, die Übrigen folgten. Fandorin hörte hinter sich ein sonderbares Schurren. Er drehte sich um und fuhr zusammen. Sämtliche Bauern krochen auf den Knien, nur Masa zögerte, er überragte wie ein Pfahl die Kopftücher der Weiber und die entblößten Männerköpfe. Unruhig blickte er um sich undplumpste dann auch auf alle viere. Die japanische Höflichkeitsetikette schreibt vor, nicht aus einer Menge aufzuragen, denn »ein spießender Nagel wird auf den Kopf geschlagen«.
    Flinker als alle Übrigen bewegte sich ein kahlköpfiges, vollbärtiges Bäuerlein, das im Unterschied zu den anderen in Lumpen gekleidet war. An den bloßen Füßen trug er zwei Fetzen Hammelfell, die notdürftig mit Stricken festgebunden waren.
    »Bäh, bäh!«, blökte der Gottesnarr dümmlich im Vorwärtskriechen. »Macht Platz, ihr Tabakraucher! Gottes Schafe gehen in den Opfertod! Bäh! Grabt euch alle ein, Brüder! Zeigt Satanas die Feige! Da wird der Hund sich so richtig ärgern!«
    Er schüttelte das schwere Eisenkreuz, das ihm am schmutzigen Halse hing, und bellte wie ein Hund. Fandorin verzog das Gesicht und beschleunigte den Schritt.
    Auf dem Hof lagen Haufen schwarzer Erde. Ein Grüppchen finster blickender Bauern mit Spaten in den Händen stand etwas abseits. Die Vertreter der Macht und die beiden unbekannten Herren in Zivil betrachteten schweigend etwas, was auf einer großen Bastmatte lag.
    Von hinten gellte durchdringend eine Frauenstimme: »Selig sind sie dahingegangen, haben ihre Seele gerettet! Und wir Sünder sind verloooren!«
    Einer der Zivilisten, mit Bart und Bibermütze, drehte sich um und sagte laut: »Selig? Komm her, dumme Gans, sieh dir das an!«
    Und wirklich, wie selig Verschiedene sahen die Toten nicht aus. Das Gesicht des Mannes war dunkelblau vom qualvollen Ersticken, die Frau hatte die zerbissene Hand im Mund, und an den Leichen hatten schon die Würmer ihr Werk begonnen – dank des Tauwetters …
    Fandorin wandte sich schaudernd ab. Auch auf seine Begleiter zeigte der entsetzliche Anblick Wirkung. Der Diakon Warnawaschluchzte herzzerreißend. Kochanowski wurde weiß wie Schnee, wankte und wäre in Ohnmacht gefallen, hätte sein Gehilfe ihn nicht

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