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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gestützt.
    »Seht nur her!«, schrie der Herr mit der Bibermütze die Dörfler wütend an. »So würdet ihr auch daliegen! Dahin führen Dummheit und Rückständigkeit!«
    Er verschluckte sich vor Zorn, hustete. Doch man hatte ihm gar nicht zugehört. Die Bauern hatten sich von den Knien erhoben, sie umstanden die Leichen und gafften.
    Nur der Gottesnarr drehte sich wie ein Brummkreisel, wand sich in Krämpfen, packte mit den Zähnen einen Erdklumpen, von den lila Lippen troffen Schmutz und Schaum.
    »Schafft den Krüppel weg!« Der Polizeichef fuhr gereizt herum. »Er stört bei der Arbeit!«
    Der Wachtmeister wollte den Fallsüchtigen wegziehen, aber ein hochgewachsener grauhaariger alter Mann mit einer Medaille auf der Brust (der Starosta wohl) hielt den Uniformierten zurück.
    »Rühr ihn nicht an. Das ist Lawrenti, ein frommer Mann. Er zieht durch die Dörfer, betet für die Menschen. Keine Sorge, er schreit ein bisschen und wird wieder still.«
    Fandorin nahm sich zusammen und trat zu den Toten. Er hockte sich hin, ergriff die harte, wie aus Eis gemeißelte Hand des Familienoberhaupts. Es war die Hand eines Zimmermanns – mit derben, schwieligen Fingern. Solche Finger konnten keine kalligraphischen Buchstaben schreiben.
    »Was ist das?« fragte Fandorin und zeigte auf einen aus der Erde ragenden Holzpfahl, ziemlich dick, doch am Ende zugespitzt.
    »Keine Ahnung«, sagte der neben ihm stehende Kryshow mürrisch. »Wie so eine Mine beschaffen ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Tod darin ›schwer‹ oder ›leicht‹ sein kann. ›Schwer‹, das ist langsames Ersticken. Er gilt als ehrenvoller. ›Leicht‹, das ist, wenn die Erde einstürzt. Diese hatten wohl einen ›leichten‹ Tod.«Er schüttelte sich angesichts der schrecklich aussehenden Leichen. »Aber wie ist dann der ›schwere‹ Tod?«
    In der Grube wühlte der Wachtmeister, ein sichtlich geschickter, flinker Mensch, der nicht gewohnt war, seine Zeit zu verschwenden. Er fand einen Kerzenstummel und eine eingerissene Ikone.
    »Euer Wohlgeboren, schauen Sie!«
    Er zog unter nassen Erdklumpen ein Blatt hervor, das wie der Abschiedsbrief mit kalligraphischen Buchstaben beschrieben war.
    Der Polizeichef nahm das schmutzige Papier angewidert entgegen und las vor:
    »›Doch bisweilen rettete ich mich in ein Kloster, das in uralter Frömmigkeit leuchtete …‹ Schon wieder dieser Altgläubigenquatsch. Schluss, Odinzow, genug im Dreck gewühlt! Auch so ist alles klar.« Er knüllte das Blatt zusammen und warf es zu Boden. »Die Leichen in einen Schlitten, wir nehmen sie mit in die Stadt.«
    In der Menge dumpfes Stimmengewirr.
    »Wieso in die Stadt? Um die toten Christenmenschen zu verhöhnen? Um sie auf einem verruchten Nikon-Kirchhof zu verscharren?«
    Da tauchte plötzlich der Dechant auf.
    »Was ihr nicht alles verlangt!« Er fuchtelte gegen die Altgläubigen. »Kirchhof! Wer würde denn erlauben, die Selbstmörder in geweihter Erde beizusetzen? Auf dem Armenfriedhof werden sie begraben.«
    Da wich das Stimmengewirr einem schweren, unheildrohenden Schweigen. Die hochgewachsenen bärtigen Bauern im Kaftan von vorsintflutlichem Schnitt rückten Schulter an Schulter gegen die Städter vor.
    »Die Toten bleiben hier!«, sagte der Starosta fest und trat vor. »Wir begraben sie in Ehren, nach unserm Brauch.«
    Er trat dicht an die Beamten heran und flüsterte: »Sie sollten abfahren, meine Herren. Damit es nicht zur Sünde kommt.«
    Der Polizeichef, puterrot angelaufen, drohte den Altgläubigen mit der Faust.
    »Na, ihr werdet schon noch sehen! Soll erst ein Truppenkommando anrücken, die Ermittlung durchführen und die Volkszählung vornehmen? Das könnt ihr haben!«
    »Wir brauchen keine Truppen«, bat der Starosta ebenso leise. »Wenn einer verhört werden soll, schicke ich ihn. Auch Hilfskräfte für die Zählung stelle ich. Die Leute müssen sich erst mal ein bisschen abkühlen.«
    »Wirklich, Pjotr Lukitsch, fahren wir«, zischte der Untersuchungsführer, wobei er nervös auf die Bauern blickte. »Diese Visagen! Wie Sie wollen, aber ich bleibe hier nicht zur Nacht. Lieber bei Dunkelheit fahren.«
    Den Polizeichef hielt ebenfalls nichts mehr in dem ungastlichen Dorf, doch sein Gesicht verlieren wollte er auch nicht.
    »Herr Lebedew und ich fahren nach Stershenez, um den Fall zu untersuchen!« rief er schallend. »Wachtmeister Odinzow bleibt hier, ihr habt ihm in allem zu gehorchen! Wenn irgendwas passiert, werdet ihr strengstens zur

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