Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Viktoria das unausgesprochene Rätsel.
Blicke bohrten sich in Magda, die vergeblich versuchte, sich im
Hintergrund versteckt zu halten.
»Ich
weiß nicht, ob wir dafür die richtige Adresse sind,
Fräulein Virchow. Bei uns kaufen die vornehmsten Damen der Stadt
ein. Selbst die Ehefrauen ausländischer Geschäftsleute
begleiten ihre Männer manchmal nach Hamburg, nur um unseren
Salon aufzusuchen«, kam es mit leicht empörtem Unterton
von Fräulein Michels, der das Ansehen ihres Ladens scheinbar
wichtiger war als die Aussicht auf ein gutes Geschäft. Viktoria
wandte sich zu Magda. Der Anblick ihres dunkelrot verfärbten
Gesichts versetzte ihr einen Stich.
»Dann
ist dies genau der richtige Ort für meine Zofe, die ich für
viele Jahre treuer Dienste belohnen möchte«, erklärte
sie entschlossen. »Ihr Zukünftiger ist sehr fleißig
und ehrgeizig. Er könnte eines Tages Generaldirektor einer
Reederei werden. Da wollen Sie doch sicher, dass Ihr Salon seiner
Frau in guter Erinnerung bleibt.«
Fräulein
Michels Mundwinkel zogen sich abwärts, dann wurden sie in ein
Lächeln gezwängt. Nur ein Blitzen in den Augen der
Verkäuferin machte Viktoria deutlich, dass sie die Ermahnung
durchaus begriffen hatte, aber nicht erfreut war, derart belehrt zu
werden.
»Nun,
wir haben auch schlichtere Modelle, die sich für die Gemahlin
eines einfachen Mannes mit vielversprechender Zukunft schicken«,
meinte sie und wies eines der anderen Mädchen mit einer barschen
Handbewegung an, den Katalog mit Zeichnungen zu holen.
»Allzu
schlicht muss es nicht sein. Eine junge Frau möchte ihrem
Bräutigam bei der Hochzeit gefallen, Fräulein Michels. Ich
dachte eigentlich, das wäre allgemein bekannt«, sagte
Viktoria mit einem leicht schnippischen Unterton. Es gefiel ihr, das
schmale Gesicht der Verkäuferin nun ebenfalls in Dunkelrot zu
sehen. Den Makel, mit fast dreißig Jahren noch unvermählt
zu sein, konnte selbst eine so beherrschte Frau nicht einfach
wegstecken.
Der
Katalog wurde geöffnet und Viktoria winkte Magda heran, die
nervös auf den Fußballen wippte. Sie schien kaum in der
Lage, sich auf die Skizzen von prächtigen Kleidern zu
konzentrieren, die nacheinander vor ihr ausgebreitet wurden. Immer
wieder huschte ihr Blick zu den Gesichtern der Verkäuferinnen,
als wolle sie um Vergebung für all die Mühe bitten, die sie
ihnen soeben bereitete. Doch plötzlich sank ihr Zeigefinger wie
von selbst auf ein klassisch schlicht geschnittenes Modell mit der
modischen Tournüre.
»Das
hätte ich gern. In Dunkelblau mit weißer Spitze am
Kragen«, meinte sie mit unerwarteter Entschiedenheit.
Fassungsloses Schweigen folgte.
»Es
scheint mir so … so … zu sehr verbreitet, in Weiß
zu heiraten«, erklärte Magda unsicher ihre Wahl. Viktoria
staunte. Ihr war niemals bewusst gewesen, wie viele eigene Gedanken
sich hinter der glatten Stirn ihrer Zofe verbargen.
»Gut«,
beendete sie die Auswahl. »Nun soll man bei Fräulein
Skerpov bitte Maß nehmen. Ich werde das Kleid bestellen.«
Der
Katalog wurde zusammengeklappt. Zwei Mädchen zogen die
verkrampfte Magda hinter einen Vorhang, um die notwendige Arbeit
durchzuführen.
»Ich
fürchte, Herr Behrens wird in diesem Fall eine Vorauszahlung
wünschen«, wandte Fräulein Michels sich indessen an
Viktoria, die sogleich nach ihrem Ridikül griff.
»Ich
werde Ihnen einen Wechsel ausstellen«, meinte sie. »Mein
Vater hat mir eine Vollmacht dazu gegeben, da ich jetzt volljährig
bin.«
Sie
grub das Dokument heraus und hielt es vor Fräulein Michels
bebrillte Augen. Ein knappes Nicken folgte, dann zog die Verkäuferin
ihre Schultern zurück.
»Wenn
Sie gestatten, ich muss das kurz mit Herrn Behrens besprechen«,
meinte sie und verschwand durch die Hintertür, ohne eine Antwort
abzuwarten. Viktoria bewegte ungeduldig ihre Füße. Ihr
wurde jetzt erst bewusst, dass der Inhaber des Modesalons bisher
nicht erschienen war, um sie persönlich zu begrüßen.
Das war ungewöhnlich. Er saß stets in einem Hinterzimmer,
wo er weitere Skizzen für Modelle anfertigte und gleichzeitig
die Ereignisse in seinem Laden mit anhörte. Das Eintreten von
wichtiger Kundschaft brachte ihn aber meist sehr schnell dazu,
persönlich in Erscheinung zu treten. Viktoria leerte den letzten
Rest ihrer Kaffeetasse. Herr Behrens würde sicher gleich kommen
und sich für die Unhöflichkeit seiner
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