Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Diesmal schaffte Yazi es nicht, seinen
Schädel zu streicheln, denn das Brennen zwischen ihren Beinen
tat zu weh.
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Drei
Monate später stellte die daoistische Nonne, die regelmäßig
erschien, um Wehwehchen oder echte Leiden der Frauen des Hauses Rong
zu lindern, Yazis Schwangerschaft fest.
Als
Laoshu am nächsten Morgen die Tür öffnete, um Yazis
Morgenmahl zu holen, stieß sie einen gellenden Schrei aus. Yazi
sprang auf die Beine und sah sich ratlos um, was ihre Dienerin derart
erschrecken konnte. Alles war wie immer, nur konnte sie Ngiau, die
gewöhnlich zu ihren Füßen schlief, nirgends
entdecken.
»Sieh
nicht hin«, stieß Laoshu mit tränenerstickter Stimme
hervor. »Bitte, sieh nicht zur Tür.«
Yazi
richtete ihren Blick sogleich in die verbotene Richtung. Dunkelrote
Tropfen entstellten den Fußboden vor ihrer Türschwelle.
Sie
stieß eine wimmernde Laoshu zur Seite, um genauer nachzusehen.
Ngiau
war mit dem Schwanz an der Decke des Ganges festgebunden worden. Ihr
kleiner Leib war aufgeschlitzt, Gedärme quollen hervor und
baumelten in der Luft wie Glücksbringer beim Neujahrsfest.
Yazi
rannte schreiend ins Nebenzimmer, riss die erste Frau ihres Gemahls
aus dem Bett und begann auf sie einzuschlagen. Es war unglaublich
leicht, denn die Gegnerin hatte so weiche, wehrlose Arme. Yazis Nägel
kratzten, ihre Füße traten und schließlich biss sie
in die linke Wange des vornehm bleichen Gesichts. Der Geschmack von
Blut tat unerwartet wohl. Sie drosch weiter auf die Mörderin
ein, wollte ihr so viel Schmerz zufügen, wie Ngiau empfunden
haben musste, als ein Messer ihren Unterleib zerschnitt.
Nach
einer gefühlten Ewigkeit wurde sie gewaltsam von ihrem Opfer
gerissen. Die daoistische Nonne verabreichte ihr einen Trank, der sie
in tiefen Schlummer fallen ließ.
Später
erfuhr Yazi, dass nur ihre Schwangerschaft sie vor einer schweren
Züchtigung bewahrt hatte. Sie musste sich mit einem Kotau vor
der ersten Gemahlin entschuldigen. Wie eine von unsichtbaren Fäden
gezogene Puppe erledigte sie auch diese Pflicht, war erfreut, hinter
der dicken Schicht von Schminke noch die roten Ränder einer
Bisswunde auf der Wange ihrer Rivalin erkennen zu können. Dann
legte sie sich wieder zum Schlafen in ihr Gemach.
Sie
begann dieses in ihr heranwachsende Leben, das den Tod Ngiaus
verursacht hatte, zu hassen.
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Die
Zeit ihrer Schwangerschaft verbrachte sie in jenem Dämmerzustand,
der für sie nun Alltag geworden war. Nur Laoshus Drängen
sorgte dafür, dass sie regelmäßig aß. Ihr Bauch
wölbte sich allmählich zu einem Berg, der sie niederdrückte
und jede Bewegung erschwerte. Sie begriff nicht, warum die anderen
Frauen sie um diesen Zustand beneideten, denn er schien eine täglich
wachsende Qual.
Manchmal
versetzte das unerwünschte Wesen in ihrem Inneren ihr Tritte.
Wenn Laoshu nicht zusah, schlug Yazi energisch zurück.
Erst
das Einsetzen der Wehen erfüllte sie mit Erleichterung, denn nun
konnte sie ihren Körper von der unerwünschten Last
befreien. Sie folgte gewissenhaft den Anweisungen der Nonne und
brachte das Kind zur Welt. An dem erleichterten Gesicht der
Geburtshelferin erkannte sie, dass sie dabei unerwartet schnell
gewesen war.
Das
Plärren des Säuglings schien ihr unwichtig. Sie schloss die
Augen, um endlich wieder schlafen zu können. Aus weiter Ferne
hörte sie enttäuschtes Murmeln. Ni. Ein Mädchen.
»Die
edle Dame hat eine Tochter«, verkündete Laoshu mit
erzwungener Heiterkeit, dann hielt sie Yazi ein rotes, zerknittertes
Bündel Mensch entgegen.
Vermutlich
hätte sie einen Sohn nicht weiter beachtet. Er wäre ihr
ohnehin weggenommen worden, denn einem braungebrannten Bauernmädchen
traute man nicht zu, den zukünftigen Hausherrn angemessen zu
erziehen. Doch eine Tochter war unerwünscht, eine Enttäuschung.
Niemand brauchte eine weitere Frau in den Frauengemächern. Diese
Erkenntnis weckte in Yazi ein Gefühl von Verbundenheit, gegen
das sie entschlossen ankämpfte. Sie wollte keine Gefühle
für ihr Kind entwickeln. Leider erinnerte dieses winzige Wesen
sie in seiner Hilflosigkeit an Ngiau, als sie ein halbtotes Stück
Fell und Fleisch gewesen war.
Yazi
verliebte sich in ihre Tochter, die sie Chuntian nannte, nach dem
Frühling, der im Garten allmählich Einzug hielt.
3. Kapitel
Nun
begann eine Zeit, da Yazi im Haus
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